Die sprachliche Entfremdung des Sprechenden von sich selbst

Text von Michael Krakow
„Es wurde dann geheiratet, man bekam Kinder“. Der mediale Rezipient reibt sich die Ohren. Wen meint jener im öffentlich-rechtlich ausgeleuchteten Ledergestühl insistiv gefragte Rekordnationalspieler – tatsächlich seine Ehe, seine Kinder? Wie mag es geschehen, dass derzeit nicht wenige Sprechenden automatisiert in eine sprachliche Distanzierung gleiten zu dem selbst Gesprochenen? Das kuriose Phänomen „Logorrhoe Matthäusensins“ verlangt dergestalt bezeichnet wie ergründet zu werden.
Zitrone auf Teller Living in OWL
Solch kuriose Satzkonstruktivismen wie „Man hat zu der Zeit einige Fehler gemacht“, wenn es die eigenen betrifft oder „Viele Länder wurden bereist“, um die eigene Weltläufigkeit auszudrücken, verblüffen. Da wird der Aussager zum distanzierten Kommentator seiner Selbst. Diese öffentlich ausagierte Form von verbaler Schizophrenie (altgriechisch „abspalten“) befremdet, noch mehr aber fasziniert sie. Mich. Oh, ich fange auch bereits an, mich selbst nicht mehr im Satz zu führen, wenn es um meine Empfindungen geht. Ergo eine virale Angelegenheit mit akustischem Infektionsweg.
Sich selbst zur dritten Person machen zu müssen, speist sich aus welcher kruden Intention? Läßt sich Sein und Seinwollen nicht mehr in Deckung bringen, weshalb das Innere einen Schritt aus der ungewollten Hülle tut, um deren Handlungen von außen bemüht sachlich neutral zu reportieren? Oder ist es eher Hybris, Stilisierung der eigenen Person zur Lichtgestalt (Morbus Franz), die beständig nur noch vom imaginierten Balkon aus zum gefühlten Auditorium proklamiert statt einfach zum Nächststehenden zu sprechen?
Die Eigenwahrnehmung als zentralem Zeugen des Zeitgeschehens, der aus lauter trunkenem Beeindrucktsein vom eigenen Ego sich selbst verbietet, in der ersten Person von sich zu reden. Oder ist sie schlicht Ausdruck von Unverständnis den eigenen Handlungen gegenüber, eine aus Bekanntscham geborene Fraternisierung mit den Hörenden, denen es ganz ähnlich ergeht? Beispiel: „Man hat es zu diesem Zeitpunkt nicht besser gewußt“. Die Hörenden wußten es schon zu jenem Zeitpunkt, das nun erfolgte, verspätete Nachvollziehen der Erkenntnis wird verklausuliert zugegegeben.
Um diese Systematik dicht zu erfahren, beschließe ich, in den nächsten Tagen selbst auszuprobieren, wie sich das anfühlt, was sich verändert, wie die Umgebung reagiert. Ein Experiment! Ich transferiere diese Form des Sprechens in meinen Alltag. „Man wünscht 150g Emmentaler, man schätzt dessen Genuß sehr“ (Einkauf, Fachkraft Käsetheke); „Man fragt sich schon gerade, wo in Ihrer Stadt der Bahnhof zu finden ist“ (Fremde Stadt, Passant) oder „Man kann sich durchaus vorstellen, am Samstag zu Deiner Feierlichkeit zu erscheinen“ (Einladung, Freund). Erstaunlich, eine erste Erkenntnis stellt sich ein! Die Veränderung ist, dass wie von selbst die Sätze gestelzter formuliert werden. Es wird wundergleich pastoraler, höfischer, innerlich wiederkehrend die Verbeugung mit Grandezza durchführend. Scheinbar paßt nur die erhabene Form zur dritten Person. Das ist zwar weniger alltagstauglich, aber auch ein Zugewinn an Sprachgenuß. 1:0 für die Dritte, wie ich sie in Anlehnung an Symphonien als Hommage ab sofort abkürzend nenne.
„Gebt dem Cäsar, was des Cäsars ist!“. War es nicht jener römischste aller Imperatoren, von dem überliefert ist, dass er die Dritte innglich bevorzugte, allen Detailschwierigkeiten zum Trotze? Oh ja, unvergessen exemplarisch jener persiflierte Dialog zwischen Kohortenführer und Lobeerträger, von René Goscinny zeichnerisch in deren Münder fabuliert: „Er ist großartig!“ „Wer?“ „Ihr, mein Cäsar!“ „Ach, er“.
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Zugegeben, der Bogen von Cäsar zu vokal marodierenden Exfußballern ist in seiner Dehnbarkeit bis ans Äußerste strapaziert. Vorbei aber die Tage von Autokratie und Dikaktur, Willkommen der Demokratie. Soll sie endlich auch Einzug halten in der Sprachwelt. Heben wir auch die Hörerschaft in die Dritte! Die finale Distanz zwischen Sender und Empfänger läßt sich womöglich in ihrer Finalität überwinden. Der Sprecher zu sich in Distanz, zu den Hörenden ebenso, darin ergo dann wieder vereint. Man wechselt gemeinsam die Ebene. Also denn: Man hofft, mit diesem  Embolium die geneigte Leserschaft angemessen bereichert haben zu können. Man dankt ergeben für deren Aufmerksamkeit. Alles wird grün, verehrte Charismatiker.
Fotos: © 12frames – Fotolia.com und © AlienCat – Fotolia.com

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