Semantische Trojaner, bleibt im Rumpf!

Artikel von Michael Krakow
Die Vereinfachung der Begriffe ist die erste Tat der Diktatoren“ erkannte Erich Maria Remarque. Nun, von einer Diktatur scheinen wir gottlob (falls der günstigen Einfluß hatte) weit entfernt. Nein, wir haben uns (auch) rhetorisch erheblich weiter entwickelt, wir vereinfachen die Begriffe nicht mehr, bagatellisieren, simplifizieren sie nicht länger. Wir drehen sie stattdessen aus dem Wind, drechseln sie dünn, stellen sie auf den Kopf. Wir nehmen positive Begrifflichkeiten und konnotieren sie verächtlich, verfilzen ihren Sinn, verformen sie in ihr Gegenteil. Ist dies eine Zeit lang verbal mit einem Wort geschehen, dann funktioniert es auch in geschriebener Form. Beim Lesen hören wir, innerlich konditioniert wie ein Pawlowscher Ohrhund, die neue Deutung, akzeptieren sie, machen uns mit ihr gemein, hinterfragen gar nicht mehr, was da und wie es geschehen ist. Beinahe unbemerkt stiehlt man uns dergestalt regelmäßig Benennungen, quirlt sie durch den Zynismusmixer und gibt sie uns perfid grell lackiert zurück in neuer, stylisch hochmütiger Deutung. Damit ist ihre weitere Verwendung in ursprünglicher Intention schier unmöglich, ihre Urbedeutung wohlfeil stranguliert.
Gutmensch
Begonnen hat es irgendwann mit dem „Gutmenschen“.  2012 erlangte dieses Wort den zweiten Platz als Unwort des Jahres. Das Bemühen, im Rahmen der ureigenen, bescheidenen Möglichkeiten ein möglichst guter Mensch zu sein, wurde über Nacht zum Kampfbegriff der selbsternannt modern Cleveren gegen scheinbare rückschrittlich Einfältige. Der Gutmensch ist der Moralapostel 2.0, Langweiler reloaded. Auch Sie lesen es und haben sogleich den kirchentagsgeschmiedeten Strickpulloverträger vor Augen, wie er stickerbewehrt und unangehm sandaliert gegen die vielen Unrechtswindmühlen dieser Welt sakrosankt ansalbadert. Will zu dieser Gruppe nicht zugehörig gerechnet werden, weist das Gutmenschentum rasch und überprononciert von sich. Welch Tragik darin liegt, gab es doch nie zuvor solch einen Bedarf an Gutmenschen wie derzeit! Ein famoser Kopfstand durch diese frisch spiralierte Definition, ist doch damit jetzt gesellschaftlich anerkannter, ein quirliger Anlageberater, geschmeidiger Rüstungsfabrikant oder alerter Lobbyist zu sein als solch ein alberner Gutmensch, der die neue Zeit weinerlich längst verpasste.
Da es mit diesem Begriff so (im wahrsten Wortsinne) furchtbar funktionierte, gab es nun siegestrunken die grobe Kelle und der „Ökonazi“ wurde getauft. Wie tief kann gesunken werden, um jene, welche sich sorgen und bemühen um die geschundene Umwelt zu vergleichen mit dem schlimmsten Terrorregime der Weltgeschichte? Der Verfasser dieser Zeilen liebt Sarkasmen, Tabubrüche, Provokationen als Werkzeuge der Überspitzung außerordentlich, hat sie lustvoll im täglichen Gebrauch, doch sind damit sämtliche Geschmacksgrenzen aufgehoben? Sie mögen bisweilen anstrengend belehrend daherkommen, jene hennabezopften Reformhausjünger, doch nichts an ihrem Sein und Tun rechtfertigt diese Etikettierung. Es ist schändlich und bagatellisiert nebenbei die unsägliche Existenz jener, die dem Nationalsozialismus stumpf sich ergeben. Übrigens ist das kein rechtes Gedankengut, denn an diesen Gedanken ist aber auch gar nichts gut. Noch solch eine beknackte Sprechvermüllung, die unwidersprochen konterminieren darf.
Frauenversteher
Dann kam der „Frauenversteher“ an die Reihe. Wie geschah es bitte, dass der Versuch, als Mann eine Frau verstehen zu möchten, diesen damit zur lächerlichen Figur verkümmern läßt? Selbstverständlich erlangt er dieses Verstehen kaum ansatzweise, doch schon das Bemühen darum beraubt ihn ab sofort öffentlich seiner Männlichkeit. Will er weiterhin zum marlboroten Club der Bürocowboydarsteller gehören, darf er sein Verstehenwollen keinesfalls ausleben, muß er es maximal klandestin daheim probieren, um nicht unversehends am verkicherten MarioBartPranger zu strampeln. Wie armselig das ist. Wäre der Mann tatsächlich noch ein Kerl, so ist ihm die Bewertung seines Tuns durch selbsterkorene Begriffsneudeuterkobolde souverän gleichgültig. Er bliebe Mann, nicht trotzdem, sondern weil er sich geistig neugierig erobert, was ihm schwer verständlich erscheint.
Wut
Stuttgart 21 erbrachte uns schließlich den „Wutbürger“. Man kann zu diesem Bahnhofsexperiment stehen, wie man will (der Autor zum Beispiel eher positiv), doch Bürgern, die ihr (erheblich zu selten) genutztes Grundrecht in Anspruch nehmen, öffentlich zu protestieren, ihre Zielgerichtetheit abzusprechen, ist nichts anderes als infam. Den Wut hat keine Richtung, keinen Fokus, keine Absicht. Wenn jemand wütet, so ist er schlicht in sinnfreier Raserei. Der richtige Ausdruck wäre „Zornbürger“, denn Zorn hat stets einen klar umrissenen Auslöser und bietet zudem Spielräume der Verhandlung. Doch genau das ist es, was subtil verschleiert werden soll, Wutbürger lassen sich als Chaoten schmähen und dementsprechend behandeln. Mit Zornbürgern könnte und müßte man sich inhaltlich auseinandersetzen, Wütige hingegen bekämpft man roh mit amtlichen Wasserstrahlern (die das Wasser keineswegs werfen, Wasserwerfer mit 20 bar Druck ist eklig euphemistisch).
Der Beispiele gibt es viele, doch die benannten verdeutlichen, wie uns die Deutungshoheit trojanisch unterwandert wird. Denn Sein schafft noch immer Bewußtsein und Sprache dient hier kafkaesk mißbraucht als Steigbügel des falschen Pferdes. Weshalb lassen wir uns das gefallen, dass in dieser infantil rauschhaften Phase der medialen Überhöhung von Petitessen, in der dafür alles Richtige ins verzerrte Licht gehäckselt, somit lächerlich gemacht werden darf, jedes Anzustrebende auf seinen noch so schmalen Unterhaltungswert gedehnt verkaspert wird? Es ist die Angst. Die begründete Angst vor bestimmten Gruppen oder Ansätzen. Es ist das ohnmächtige Gefühl, auf der falschen Seite fröstelnd zu hampeln sowie sich dort vor hehren Ansprüchen unbewußt winzig zu fühlen. Denn nur wo die Sonne tief steht, werfen auch Zwerge lange Schatten. Und deshalb hat Remarques Warnung noch immer Bestand, ist sie vermutlich aktueller denn je. Nur, dass es sich nicht länger um die regierungspolitische Diktatur handelt, welche dräute, sondern die Diktatur des Kleinmuts, des Dünkels, der gesinnlichen Humpelnden. Sich über das Unbekannte, deshalb bedrohlich Empfundende lustig zu machen, ihm die Kraft, die Macht, die Energie zu rauben, es dergestalt auf ein  erträgliches Maß zu stutzen ist ein uralter Mechanismus. Insofern können sich die Geschmähten eigentlich geehrt fühlen. Denn insgeheim nimmt man sie zutiefst ernst. Im Unvermögen, dies lässig zu offenbaren, bleibt lediglich die Flucht in Herablassung aus der gefühlten Unterlegung heraus. Gutmenscheln, ökologisiert sein, frauenverständig und zornbügerlich aber macht charismatisch. Einfach mal probieren. Alles wird grün.
Fotos:
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