Überliefertes Gemüsewissen

Viele der Gemüsesorten, die heute bei uns wachsen, gibt es schon seit tausenden von Jahren. Die Menschen damals schätzten nicht nur ihren Nährwert, sondern sprachen ihnen auch geheimnisvolle Kräfte zu. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein sind diese Mythen von Generation zu Generation weitergegeben worden.
Kohl Living in OWL
Roher Kohl zum Beispiel, vor einem Gelage mit Essig verspeist, soll ein wahrer Katerkiller sein. Äußerlich angewandt, sollen Umschläge mit Kohlblättern „kranke Säfte“ aus Furunkeln oder Geschwüren ziehen.
Bei Verdauungsstörungen schwor das Volk früher auf Fenchel. Der hohe Anteil an ätherischen Ölen in ihren Samen wirkt krampflösend und entgiftend. Die Samen wurden zerstoßen und mit heißem Wasser zu einem Tee aufgekocht, der ebenso bei Lungenleiden und starkem Husten zum Einsatz kam. Der Volksglaube war außerdem überzeugt, dass Fenchel eines der besten Mittel war, um Hexen, Dämonen und andere Spukgestalten zu vertreiben. So hängten sie jedes Jahr am 24. Juni (Namenstag von Johannes dem Täufer, dem der Fenchel geweiht ist) Sträußchen mit Fenchelkraut über ihre Türen und Fenster, um diese ungebetenen Gäste fernzuhalten.
Wer hätte gedacht, dass selbst die Erbse eine mystische Bedeutung hatte? Aufgrund ihrer Vielsamigkeit war sie ein Symbol für Glück, Reichtum und Fruchtbarkeit. In ländlichen Gegenden wurde die Braut von den Hochzeitsgästen daher mit Erbsen beworfen. Erbsen waren auch die Lieblingsspeise der Zwerge. Ihnen wurde am Heiligen Abend eine Schüssel mit Erbsenmus in eine dunkle Ecke der Stube gestellt.
Wie die Erbsen, gab es auch Bohnen schon in vorchristlicher Zeit. Im alten Griechenland wurde allerdings vor ihrem Genuss gewarnt. Man glaubte, dass die Bohne die Seele eines Toten beherberge, da die Samen in der Schote an einen Embryo erinnern. Im ausgehenden Mittelalter machten sich die Menschen über derlei indes keine Gedanken mehr. Am Dreikönigstag wurde das Bohnenfest gefeiert, bei dem reichlich gezecht und Schabernack getrieben wurde. Mönche fanden heraus, dass der Sud aus Bohnen gegen Rheuma, Ischias und Nierenleiden half.
Bohnen Living in OWL
Auch der Rettich wirkt entwässernd und war eines der beliebtesten Heilmittel der Bauern. Sein schleim- und krampflösender Saft wird heute noch bei Husten, Heiserkeit und Bronchitis empfohlen. Sein kleiner Bruder, der Meerrettich hat’s auch in sich. Bei einer Erkältung bekamen Kinder auf dem Land früher eine Halskette um, auf der 7 Scheiben der Wurzel aufgefädelt waren. So konnte das Senföl, das für die Schärfe verantwortlich war, in die Atemwege gelangen und dort ihre antibakterielle Wirkung entfalten. Ein Stückchen Meerettich im Portemonnaie half angeblich  gegen Ebbe in der Kasse.
Tja, und erst die Möhren… Lange Zeit galten sie wegen ihrer Form als „Liebesgemüse“, das Fruchtbarkeit und Potenz steigerte. Möhrensaft oder Karottenbrei wird heutzutage aber eher zur allgemeinen Kräftigung verabreicht.
Ein verlässlicheres Aphrodisiakum soll indes die Petersilie sein, aber nur für Männer. Bei Frauen dienten die Samen des Suppenkrautes damals zur Verhütung oder Abtreibung. Bei falscher Dosierung endete das allerdings häufig tödlich. In der Volksmedizin hat sich die Petersilie schon früh als Heilmittel bewährt. Ihre harntreibenden und krampflösenden Inhaltsstoffe halfen bei Verdauungsstörungen, Blähungen, Verstopfungen und auch bei Blasen- und Nierenleiden.
Kommen wir zur Zwiebel. Diese Knolle war früher und ist auch heute noch ein wirksames Heilmittel gegen alle möglichen Krankheiten. In Wickeln oder Packungen zieht sie Entzündungen aus Stirn, Hals, Nase und Lunge, Gifte aus Insektenstichen, Abszessen und Furunkeln. Als Sud mit Zucker aufgekocht, soll sie gegen Erkältungen helfen. In bedrohlichen Lebenslagen setzte das Volk auf ihre Zauberkräfte. An der Decke oder über der Tür aufgehängt, sollten sie vor Krankheiten schützen und das Vieh im Stall vor Seuchen bewahren. Eine mit Gewürznelken gespickte Zwiebel konnte angeblich sogar vor Ansteckung mit Pest und Cholera schützen.
Zwiebel Living in OWL
Und, wenn wir Dracula gelesen haben, wissen wir, dass Knoblauch vor Vampiren und anderen unheilbringenden Wesen schützen soll, einmal abgesehen von der beeindruckenden Heilkraft dieser Pflanze. Vor allem bei Bronchitis, Keuchhusten und Gelbsucht wurden seine desinfizierenden und schleimlösenden Wirkstoffe geschätzt.
Da betrachten wir doch unseren Gemüsegarten (oder die Gemüseabteilung des Supermarktes) mit ganz anderen Augen…
Fotos:  Elena Schweitzer – Fotolia.com

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