Der alte Apfelbaum muss weg

Text: Regina Meier zu Verl
Am alten Apfelbaum hingen in diesem Jahr nur drei Äpfel. Früher hatte er gut getragen. Die Großeltern ernteten in jedem Jahr herrliche Äpfel, so dass stets ein Wintervorrat im Haus war. Apfelmus und Apfelstücke wurden eingekocht und die schönsten Exemplare wurden im Keller eingelagert, damit auch zu Weihnachten noch ein leckerer Apfel auf dem Gabenteller liegen konnte.
Apfelbaum
Die drei Äpfel  stritten miteinander, wer von ihnen wohl der schönste sei.
„Klar wie Apfelsaft ist, dass ich der Schönste bin“, prahlte der dickste Apfel.  „Schaut mich an, meine Schale glänzt und meine Backen sind purpurrot. Er drehte sich ein wenig hin und her, damit die beiden anderen ihn besser bestaunen konnten.
„Du bist ein eitler Fratz und wenn du so weiterwackelst, dann ist es gleich vorbei mit deiner Schönheit, denn dann bist du Fallobst!“, kicherte der Apfel, der am gleichen Ast hing wie der Prahlhans.
Der dritte im Bunde lachte albern: „Ihr beiden seid einfach nur dumm. Ich bin zwar der kleinste von euch, aber mein Fruchtfleisch ist süß und fest.“
„Woher willst du das wissen? Hast du dich schon selbst angeknabbert, oder hat es dir der dicke Wurm verraten, der gerade dabei ist dich auszuhöhlen?“, lachte der Dicke.
Unter dem Apfelbaum standen Wolfgang und Heidi. Die beiden bekamen von dem Streit der Äpfel nichts mit. Sie hatten selbst Streit miteinander.
„Der Baum muss weg!“, zeterte Heidi. „Er trägt nur noch drei Äpfel, das ist lächerlich. Er taugt zu nichts mehr, er muss weg!“
Wolfgang wurde vor Zorn ganz rot im Gesicht. „Der Baum bleibt, mein Vater hat ihn gepflanzt und er hat uns jahrelang treue Dienste geleistet. Er bleibt, basta!“
Heidi setzte noch einmal neu an.
„Er nimmt den Blumen das Licht und schön anzusehen ist er auch nicht mehr. Sieh es doch endlich ein, der Baum ist überflüssig, er taugt nichts mehr!“
Die drei Äpfel hatten mucksmäuschenstill gelauscht. Der Dicke zitterte wie Espenlaub, so sehr musste er sich ärgern und da er vorher schon so heftig an seinem Stängel gedreht hatte, um sich den anderen zu präsentieren, gab der Stängel jetzt nach und er plumpste der Heidi auf den Kopf. Autsch!
„Du dämlicher Apfel, das gibt eine fette Beule!“, kreischte Heidi. Wolfgang aber lachte und konnte sich vor Lachen kaum wieder fassen.
„Das war die Strafe!“, keuchte er und lachte immer weiter. Heidi stapfte wutentbrannt nach Hause. Sie hatte den Kampf verloren, das war ihr klar.
Wolfgang bückte sich nach dem dicken Apfel, drückte ihm einen festen Kuss auf die roten Backen und bedankte sich. „Du hast den alten Baum gerettet! Danke!“
Die beiden anderen Äpfel durften noch ein paar Tage am Baum hängen bleiben. Sie waren dem Dicken dankbar und redeten nur noch gut über ihn. Als die Nächte kälter wurden, nahm Wolfgang auch sie mit nach Hause und er aß sie ganz allein auf. Nur ein winzig kleines Stückchen bekam seine Heidi, weil sie ja seine Frau war und es gar nicht so böse gemeint hatte.
Der alte Apfelbaum wurde zur passenden Zeit ein wenig gestutzt und schon im nächsten Jahr fiel die Ernte wieder etwas reicher aus. Nicht ganz so reich wie früher, aber immerhin konnte die Heidi einen wunderbaren Apfelkuchen backen und auch für den Gabenteller zu Weihnachten blieben noch ein paar Äpfel übrig.
apfelkuchen-sehr-fein
So war das mit dem alten Baum. Ich glaube, dass er noch immer an seinem Platz steht. Bald werde ich ihn besuchen.
Foto 1: © Thomas Renz – Fotolia.com

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