Menschen! Tiere! Sensationen!

Text: Michael Krakow
Vor meinem Haus parkt ein Laster. Also keine Untugend, sondern ein solider Lastkraftwagen. Auf seiner Plane stand zu lesen: „Glas-Emotionen“. Da destilliert sich im Vorübergehen in meinem Hirn die beinahe dadaistische Fragestellung “Hä?” Angesichts der sehr großen, sehr transparenten, kantigen Objekte in ihren schweren, weißen Rahmen, welche eher emotionsfrei an jenem Gefährt einbaubereit lehnten, schien es sich bei dem Besitzer also um einen Glaser zu handeln. Wieder ein ehrbares Handwerk, das wir an die nimmersatte Muräne der Werber verloren haben, die ihrerseits eine Moräne lostraten an euphemistischen Aufplusterungen von praktischen Bezeichnungen. Was an Fensterscheiben ist so kümmerlich, dass sie nun “Glas-Emotionen” heißen sollen?
Wasserspritzer auf einer Scheibe mit buntem Hintergrund
Wenige Minuten zuvor erst hatte ich etwas erstanden, das ehedem nicht mehr sein wollte als ein schlichtes Brötchen, nun aber seine Typisierung in den Modus Eitel gepusht bekam und sich daraufhin nicht nur „fit“ sondern auch noch „vital“ zu präsentieren hat! Ein Teigling kann nicht fit sein, auch nicht vital! Ja, beides nicht einmal den Kauer machen, im Gegenteil. Wenn ich zuviel davon esse, verliere ich diese beiden Eigenschaften sogar. Zügig vital wird allenfalls die im Brötchen unschön eingequetschte Industrie-Mayonnaise im Hochsommer. Selbstredend, dass diese Krönung der Teigkunst auch nicht mehr von einem fleißig bescheidenen Bäcker angeboten wird, sondern von der Event-Bakery, die für ihre Namens-Hülsen das dreifache Salär eintreibt.
Gleich will ich noch zum Friseur, die scheint es ja auch nicht mehr zu geben. Es wimmelt von Zauber-Coiffeuren, David Copperfields der Schere, Bürsten-Garrets, die so knackflach daherkommen wie „Kamm in“, „Sahaara“ oder „Haarem“ oder so strunzdumm wie „JennifHair“ oder „HeadHunthair“. Ob sich dort jemand meines schlicht struppigen Haupthaares annimmt, es lediglich etwas zu bändigen sucht? Denn nur dies erbitte ich, keinen “Undercut mit fresh Extensions”. Mein Friseur aus Kindertagen hieß wie sein Laden, bzw. umgekehrt: Nachname voran, besitzanzeigend, gefolgt vom Spitznamen. “Funkes Willi”, kompakt wie ausreichend. Ein Kamm kreuzte schmiedeseiern die geöffnete Schere. Da muß der Customer nicht einmal readen können.
taglio di baffi con forbici
Mitnichten bin ich ein rückwärtsgewandter Nostalgiesüchtiger, der Neuzeit verängstigt entgegenbibbernd. Doch das “Es gibt sie noch, die guten Dinge” eines sattsam bekannten Oberstudienrat-Innenausstatters ist mir wohlig wärmer als der Zusatz „Erlebnis-Wohnen“ beim modular monströs auftretenden Möbelgiganten auf der Vorstadtwiese. Da brüllt ein Löwe, da ist der Lutz schon morgens XXXL, die dicke Marzähnerin ein rosa Boss und in den regnerischen Himmel ragt die Lehne eines zwölf Meter hohen, roten Stuhls. Du meine Güte! An sich ist doch nur ein neues, kleines Sofa mein unspektakuläres Begehr, dass des abends meinem maroden Leib eine untergründige Heimstatt zu bieten vermag. Straff und trotzdem nachgiebig, einfach, praktisch gut, zu sinnfrei ödem, sinnierend Draufsitzen. Eine Lounge-Area mit spacigem Chillfaktor in spooky Dessins braucht es bei mir nicht. Jedoch verheißt jener kreischend bunte Zusatz „Erlebnis“ Unabwendbares. Kehre ich nach Haus nach eines vollen Tages Mühen, darf ich nicht abschlaffen, eintrüben, einsinken. Nein, erleben soll ich dann, mich erwartet schließlich „Erlebnis-Wohnen“. Bitte nicht, ich erlebe doch schon tagsüber genug, zuhause muß das nicht mehr sein, es reicht eine Sitzfläche. Vielleicht mit einem duftenden Kaffee in der Hand.
Kaffeekapseln
Aber auch dies wird schwierig. Kaffee ist ja so Neunziger, Leute, lächerlich! Die von indonesischen Findelkindern im Mund gewalkte Kapselette „Pollutio“ muß in die möndäne Pressdestille in Ulcus-umbra metallic geschoben sein. Natürlich aus der georgischen (Schaupieler, nicht Staat) Mistpresso-Boutique (vulgo Kaffeladen) aus dem teakstylischen „Carpe-Diem-Bereich“. Ja, das ist wirklich wahr, die haben letzteres wirklich! Nicht länger die simple Volumenfrage „Tasse oder Becher“ ist dort en vogue sondern „Grande oder Venti“?
Kommt es später zu unclooneyschem Grimmen im Magentrakt, mag dann auch die Krankenkasse nicht länger hintanstehen, empfand sich da wohl ebenfalls als zu defizitär (werbesprachlich, finanziell ohnehin) und möchte lieber schick steril „Die Gesundheitskasse“ sein. Die Seuche greift um sich. Der türkische Obstladen an der Ecke, der gestern für alle noch punktgenau „Der Obstladen“ war, verheißt prangend nun „Fruits&more!“ in farblich changierender Leuchtschrift. Was bitte verbirgt sich hinter „more“? Es gibt dort noch immer lediglich Obst in Holzkisten. Was auch noch immer prima und genügend ist. Hört dieser Hype nie auf? Wann wird der Bestatter „Power-Dying“ inserieren, der Proktologe einen „Mega-Slide-In“ prononcieren, der Metzger „Full-Meatball-Overload XL“ aufdrängen oder der Buchhändler den „Change-Bookpages-Slow-Definition“ in die Auslage wuchten?
Je mehr die Kleinbürgerlichkeit im täglichen Sein (vgl. Wahlverhalten) um sich greift, um so mehr muß dies durch blinkenden Wahn im Konsum verkleidet werden. Doch gibt es auch Hoffnung. In einem Bistro schrieb der Wirt, dem meine Verehrung schon allein dafür allzeit sicher ist, mit Kreide (nicht Leuchtmarker) auf seine Schiefertafel (nicht Monitor) hinter der Theke: „Kein WLAN hier. Unterhaltet Euch einfach.“. Jawoll! Da hüpft das geschundene Sprechherz. Viel mehr erquickt mich ohnehin, wenn der Name des Eigners ungewollt zur Branche paßt, entweder autoreferentiell oder ad absurdum führend. So gibt es in meiner Stadt Detmold tatsächlich den „Dr. Eichhorn, Facharzt für Kleintiere“, köstlich. Oder in Bad Berka das Nagelstudio von Manuela Pfotenhauer, die Zahnärzte Stefan Pein (Bremen) oder Ulrich Laudwein (Castrop-Rauxel), Arbeitsbühnen Rost (Solingen), Gier Versicherungen (Emsdetten), Elektrotechnik Peter Kabel (Hamburg), M. Nothdurft Sanitär (Bückeburg) oder die Gärtnerei Übelhack (Goldkronach). Herrlich. Es muß eben nicht permanent die RTLisierung der Welt sein, jenes zwanghafte Spektakulisieren von profanem, dafür soliden Gewerkes. Aber es muß nicht ohne Raffinesse bleiben, was dem kirmeshaftem stolz entsagt.
Hierzu abschließend der kongeniale Beweis aus der Domstadt Köln. Dort gab ein pfiffiger Zweiradhändler seinem Geschäft eben nicht den Namen “Biketown” oder ähnlich pseudoanglizistisches, sondern schraubte in schlichten Lettern „Radgeber“ über die Glastür. Bravo, ich verneige mich! Witzig und dennoch bescheiden, pur, mit chiruigischer Sprachpräzision auf den Punkt gebracht und zurückhaltend doppelbödig. Denn genau das ist es, was der Mann tut – Er gibt ein Rad. Es geht also doch. Hoffnung keimt grün, liebe Charismatiker. Euer Contor jedenfalls heißt und wird geheißen wie es hieß – Gestern, heute und morgen. Niemals „Communication Consulting Center“ oder ähnlich inhaltsleer prahlerischer Unfug. Dafür stehe ich mit meinem eigenen Namen. Versprochen.
Foto 1: © ankiro
Foto 2: © alex.pin
Foto 3: © novro – alle Fotolia.com

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