Über Pferde, Elefanten, Bären und Affen

Ein Pferd steht einsam und verlassen auf einem großen Parkplatz. Das Fell struppig, Kopf und Ohren hängen herunter, ein insgesamt trostloses Bild. Ein Wesen ohne Kraft und Idee, sich geduldig ergebend in die obwaltenden Umstände. Das Bemerkenswerte an dieser Szenerie aber ist, dass die Zügel des Pferdes an einen jener billigen Stapelstühle aus Plastik gebunden sind, welche allerorten für weniger als zehn Euro zu kaufen sind. Er wiegt nicht einmal so viel wie eine Flasche Wasser, ein Windhauch würde ihn mühelos fortwehen. Dieses Photo hängt an meinem Schreibtisch, ich schrieb darunter „Die meisten Grenzen existieren nur in Deinem Kopf“.

In meinem Alltag begegnen mir immer mal wieder solche„Pferde“. Menschen, die angebunden sind an einen Campingstuhl, der für sie selbst und andere zwar unsichtbar, aber durchaus zu erspüren ist, wenn man seine Wahrnehmung dahingehend schärft.
Mir fällt da eine Teilnehmerin ein, welche kürzlich mein Seminar besuchte. Eine junge, gut aussehende Dame, verheiratet, Mutter, die an diesem Tag lernen wollte, wie Kommunikation gelingt. Sie schien offen für Neues und auf den ersten Blick vom Leben gut bedacht. Es dauerte jedoch nicht lang und war nicht schwierig herauszufinden, dass sie wohl auf Anhieb nicht sehr leicht neue Pfade würde verinnerlichen können. Und dies nicht etwa, weil sie nicht intelligent genug wäre, im Gegenteil. Aber ihr Campingstuhl stand präsent im Raum, er war mit Händen zu greifen. Was immer ich auch an Inhalten anbot, sie nahm es überaus wohlwollend entgegen, erklärte jedoch stets, warum dies in ihrem Leben nicht anwendbar sei, dort nicht funktionieren könne. Ein Kapitel nach dem anderen fand ihre prinzipielle Zustimmung, passierte jedoch nicht den Schlagbaum auf der Grenze in ihr Leben, alles wurde dort abgewiesen, kein einziges meiner Axiome erhielt ein auch nur befristetes Visum in ihrem Land. Jede neue Anregung wurde routiniert abgeschmettert.

In der Mittagspause unterhielt ich mich mit ihr. Die ersten beiden Dekaden ihres Lebens hatten ihr einiges abverlangt. Das hatte, wie sollte es auch anders sein, ihre Sicht auf Menschen, ihr Agieren mit ihnen und ihre Erwartungen darauf, was ihr im Leben zustünde, entscheidend geprägt. Und so sprudelten auch die Beispiele aus ihr, weshalb nun ihr Dasein mühselig und hürdenreich sein müsse, einem kruden Naturgesetz gehorchend. Sie legte ihre in sich schlüssige Indizienkette wie ein Kartenspieler in der finalen Offenlegung auf den Tisch. Sie bewies mir vordergründig kausal, dass sie entspannter wäre sowie offener für meine Hinweise, wenn nicht ihr Umfeld ihr unablässig Stress aufzwingen würde. Dauerstreit mit dem ersten Ehepartner, lethargischer Pragmatismus mit dem aktuellen. Konflikte mit Eltern und Nachbarn, Mobbing an Arbeitsplätzen, Schwierigkeiten mit den Kindern, Auseinandersetzungen mit Behörden. Darauf müsse sie schließlich reagieren und ob der Fülle an Attacken beinahe rund um die Uhr. Abwehren, verteidigen, in beständiger Obacht bleiben. Da komme man eben nicht zu neuen Wegen. Bis zum Nachmittag dann konnte ich während meiner Dozentur beobachten, welche Struktur sich ausgehärtet hat. Diese an sich nette junge Frau bellt, bevor andere sie zu beissen überhaupt überlegen können. Ein Leben als Kampf. Diese Mechanik hatte sie internalisiert, so wie dies Pferd es als real annahm, dass es unabwendbar angebunden ist.

Der große Paul Watzlawick beschrieb in einer seiner grandiosen Geschichten, wie ein Mann inmitten eines Marktplatzes unablässig kraftvoll in seine Hände klatscht, um Elefanten fern zu halten. Auf den Hinweis, dass in dieser Region keine Elefanten leben, entgegnete der Mann überzeugt: „Natürlich nicht, weil ich ja klatsche!“. In der Welt jener Frau klingt dies so: „Also, Herr Krakow, Ihre Unterrichtsinhalte hier sind ja gut und schön und richtig, aber wenn die anderen einen doch nicht lassen!? Ich muss so sein, wie ich bin!“. Ich fragte sie unvermittelt, ob es ihr gut ginge damit. Ihre reflexhaft ausweichende Antwort lautete lakonisch, dass sie es gewohnt sei, es eben nicht anders kenne. Dies war nicht die Antwort auf meine Frage, was ich aber gut verstand. Die Zielrichtung meiner Frage tangierte den essentiellen Kern, was selten schmerzfrei bleibt. Ich konnte nun Platz nehmen auf ihrem Campingstuhl, meine Pause darauf verbringen. Die ersten zwanzig Jahre ihres Lebens sind manifest in diesem Stuhl, sein Material ist aus Vergangenheit gegossen. Die anderen Pferde dürfen auf der Weide herumtollen und entspannt grasen, aber sie ist auf dem Parkplatz angebunden. Fremdbestimmt, vom Karma so für sie entschieden. Eingebunden in negativer Energie, die zuverlässig für weitere Negationen am Fließband frei Haus sorgt. Ein Kreislauf, der unglaublich wirkmächtig sein kann, weil er nicht als Wechselwirkung erkannt wird.

Es gibt einige Dinge, an die ich glaube. Eine davon ist die Erkenntnis, dass wir bekommen, was wir unbewusst bestellen. Moment mal, behaupte ich hier etwa, die Frau sei selbst schuld? Mitnichten, schon weil ich „Schuld“ für einen höchst verzichtbaren Begriff klerikaler Manipulation halte. Nein, es geht darum, dass jeder Mensch in seinen Interaktionen nicht nur Wirkung, sondern immer auch Ursache ist. Aktion und Reaktion sind ein ewiges Wechselspiel, keine Einbahnstraße. Die Anerkenntnis der eigenen Beteiligung im Heute ist das innere Losbinden vom Gestern, um wieder bewusster Bestimmer des eigenen Leben zu werden. Das kann natürlich angstbesetzt sein, denn die Übergabe der eigenen Verantwortung an ein vermeintliches Schicksal vermittelt auch Sicherheit. Das Neue ist fremd, daher ungewohnt und ungewiss, das aktuelle zwar nicht guttuend, dafür jedoch vertraut. Man entdeckt aber keine neuen Erdteile ohne den Mut, altbekannte Küsten aus den Augen zu verlieren, wusste André Gide.

Ein anderes Tier kommt mir an dieser Stelle in den Sinn. Ich sah in einem TV-Bericht einen Bären, der nach sehr langer Gefangenschaft aus einem Zirkus befreit und in ein Naturreservat ausgewildert wurde. Es brach einem als Zuschauer fast das Herz, beinahe zwei Wochen lang tappte dieses beeindruckende Tier unermüdlich in einem übersichtlichen, imaginären Rechteck den Waldboden platt. Um es herum war unendlich Raum – Wälder, Wiesen, Flüsse, ein wahres Paradies! Doch der große Braune lief nur einen rechtwinkligen Rahmen entlang, immer weiter und weiter, immer in der gleichen Laufrichtung. Sie ahnen es bereits, es war die exakte Fläche seines Käfigs. Die Metapher für Menschen springt einem geradewegs ins Gesicht.

Gestatten Sie mir bitte noch ein weiteres, dafür auch letztes Tierbeispiel. In einem Experiment wurde eine Leiter in einem Affenkäfig aufgestellt, darüber leckere Bananen aufgehängt. Natürlich sprang der erste Schimpanse flott über die Stufen nach oben, um sich den Leckerbissen zu angeln. Sobald er dies versuchte, wurden die anderen Tiere der Gruppe sogleich mit sehr kaltem Wasser abgespritzt. Innerhalb kürzester Zeit wurde jeder Affe, der an die Bananen wollte, von seinen Artgenossen wütend daran gehindert. Sie vermieden somit den unangenehmen Wasserguss. Im Laufe der Zeit wurde nach und nach ein Tier nach dem anderen gegen en neues ausgetauscht, bis schließlich kein einziger Affe der Startgruppe mehr in der neuen Truppe zugegen war, keiner von den jetzigen Tieren hatte also den Wasserstrahl je selbst erlebt. Und trotzdem wurde jeder Menschenaffe, der die Bananen ins Visier nahm, von seinen haarigen Kollegen sofort ruppig von der Leiter geholt. Keines dieser Wesen kannte den Grund für diese Vermeidung, doch befolgte sie jeder zwanghaft. Ist das nicht wieder ein Beweis für die Ähnlichkeit mit uns Menschen? Sind wir nicht ebenso, vermeiden wir nicht genau so das Wagnis des Neuen und können eigentlich gar nicht begründen, weshalb?

Unsere jeweiligen Erwartungen an Geschehnisse und Menschen beeinflussen Verlauf und Ergebnis, wir geben, ob positiv oder negativ, spezifische Energien hinein, nehmen vorweg, bevor etwas beginnt. Niemand ist durchgängig nur Opfer von Umständen, welche irgendwo in einem mysteriösen Outer Space für uns entschieden werden. Jeder kennt die Erkenntnis Albert Einsteins „Wahnsinn ist, immer das gleiche zu tun, aber andere Ergebnisse zu erwarten“. Man kann andere Menschen nicht direkt ändern, dies steht uns auch gar nicht zu. Aber man kann ihnen Raum und Möglichkeit geben, sich uns gegenüber zu ändern und das einzig durch unsere Art, wie wir mit ihnen umgehen. Wie Menschen Dich behandeln, ist ihr Karma. Wie Du Menschen behandelst, ist Dein Karma. Und nur das zweite lässt sich ändern. Verändere in Dir und Dein Umfeld wird sich anpassen, es ist Physik. Wer nicht die Arbeit an und ich sich selbst wagt, muss auf ewig seine Außenwelt für die Stagnation beklagen, bleibt passiver Reaktor äußerer Ereignisse. Was soll passieren bei dem Versuch, eine neue Einstellung zu versuchen? Wer wagt, gewinnt! Nicht als Vorsatz für das neue Jahr. Der beste Zeitpunkt ist immer Jetzt. Heute. Hier.

Jene Teilnehmerin schließlich kam am Ende des Seminartages, als alle anderen den Raum verlassen hatten, und gab mir stumm die Hand. Ihr Blick verriet, dass eine klitzekleine Saat begonnen hatte, den hart gefrorenen Boden von unten etwas aufzubrechen. Ich wünsche ihr von Herzen, dass diese Pflanze in ihr alsbald blüht und prachtvoll gedeiht. Nicht, um meine Thesen zu stützen, ich muss nicht Recht haben um des Gewinnens willen. Nein, damit ihr Stuhl sich auflöst, sie ihr Klatschen aufgeben kann, damit sie ihr enges Rechteck Richtung freier Natur verlassen kann, damit sie sich die leckeren Bananen über der Leiter pflückt. Denn dieserart innere Gefangenschaft braucht kein Mensch. Nicht mit sich im Einklang befindliche Menschen sind permanent in den Fesseln, es ausagieren zu müssen. Ablegen! Innere Freiheit entspannt die Außenwelt. Versprochen.

Michael Krakow – Seminare / Vorträge / Coaching: www.mikrakom.de

Kontakt & Buchung: kontor@mikrakom.de

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