Die befreite Frau

Ein Gastbeitrag von Alexa Förster.

Schon seit Jahren treibt mich das Thema „Frau- bzw. Mannsein“ um. Ich bewege es und es bewegt sich in mir. Gespannt und neugierig beobachte ich die gesellschaftliche Entwicklung und nehme eine deutliche Veränderung wahr. Konformität und Uniformität prägen das Bild. Mir scheint, dass sich die klare Abgrenzung zwischen weiblichem und männlichem Geschlecht immer mehr aufhebt. Es mag an der Emanzipierung der Frau liegen, die langsam greift, an der damit verbundenen Stärkung der weiblichen Rolle und dem zunehmenden Gleichberechtigungsversuch, dass Frauen an Präsenz gewinnen und Männer ihrer Vorreiterstellung verlieren. Das, was immer beklagt wurde und Frauen sich viele Jahrzehnte gewünscht haben, ist nun wahr geworden. Männer dürfen fühlen. Sie dürfen in der Öffentlichkeit weinen und sich zu ihren Schwächen bekennen. Sie müssen nicht mehr ihren Mann stehen und auch nicht mehr kämpfen, wenn sie nicht wollen.Doch was passiert, wenn die Männer sich von ihrem urmännlichen Prinzip, das dynamisch, zielgerichtet, gebündelt und kämpferisch ist, mehr und mehr entfernen und die weiblichen Aspekte in sich betonen? Wenn sie ihre männliche Rolle hinter sich lassen – keine Balance zwischen Stärke und Schwäche finden. Dann entsteht Platz, viel Platz für die Frau. Die Frau, die von ihrem Urprinzip, erschaffend, kreativ, schöpferisch, aufnehmend und empathisch ist, muss jetzt diesen Raum füllen und ihren „Mann“ stehen, soll gleichzeitig aber auch weiblich und feminin bleiben.Sie muss also letztlich alles werden und sein und kommt dadurch aus dem Gleichgewicht.

Überforderung ist vorprogrammiert und längst greifbar – spürbar, nicht nur bei den jungen Frauen. Doch gerade die jungen Frauen erlebe ich häufig voller Zweifel. Sie wissen nicht, wie sie den Anforderungen, die die „neue“ Frauenrolle an sie stellt, gerecht werden sollen. Sie wissen zwar, dass sie als Frauen geboren wurden, doch sie sind nicht in der Lage, ihre Weiblichkeit zu fühlen und erst recht nicht sie auszufüllen. Sie schwimmen, vor allem durch die sozialen Medien angeregt, in einem weiten offenen Raum. Sie suchen nach Vorbildern und messen sich häufig an Stars und Sternchen der virtuellen Welt, denken, dass Frausein durch Außengerichtetsein funktioniert.Herausgefordert und angestachelt verlieren sie sich im Vergleich, werden zum Spielball zwischen der Vielzahl der Möglichkeiten, die die globale Welt für sie bereithält. Sie suchen nach Orientierung und Halt, sehnen sich nach Führung und Struktur, nach einem Ort der Sicherheit und wählen die Ehe aus. Ausgerechnet die Ehe, ein klassisches „Rollengefängnis“, von der sich Generationen um Emanzipation bemühter Menschen versucht haben zu lösen, wird zu ihrem Seelenheil. Und was tun die jungen Frauen nun innerhalb dieser Ehe? Sie verlieren sich noch mehr, vergessen sich selbst ob der Anforderungen, die heutzutage an die moderne Ehe-Mutter-Haus-und Businessfrauen gestellt werden. Sie erliegen der Überforderung ihrer Frauenrolle, ohne sie jemals wirklich erkannt und eingenommen zu haben und werden in den gesellschaftlichen Mühlen des wachsenden Aktionismus und Perfektionismus förmlich zerrieben. Psychische Dissonanzen sind die Regel, Angst- und Panikstörungen sowie Überlastungssyndrome sind nicht selten die Folge. Psychopharmaka, die den Stress des Nichtbestehenkönnens abdämpfen, werden zur Selbstverständlichkeit, sind absolut gesellschaftsfähig und bereits zur „Alltagsdroge“ geworden.

Wie kann frau sich finden?

Zunächst ist es hilfreich, Bewusstheit darüber zu erlangen, was ist. Es ist sinnvoll sich mit den Fragen zu beschäftigen, wer man als Frau ist und wie man als Frau sein möchte? Sich zu fragen, ob man als Frau wie die eigene Mutter sein möchte, oder lieber ganz anderes. Und ebenso, welche Rolle man in der Gesellschaft einnehmen möchte. Man kann eine Entscheidung darüber treffen, ob man wirklich allen Anforderungen, die die Gesellschaft stellt, entsprechen möchte, oder nicht? Ebenso ist es sinnvoll herauszufinden, welche Verhaltensmuster, Rituale und Konventionen man annehmen und von welchen man sich lösen möchte. Selbstbefragt wird man sich immer mehr dem annähern, was einem entspricht, für was man eintreten und was man vertreten kann.

Doch dazu ist es nötig, sich auf sich selbst einzulassen, sich hinzuwenden, um zu erfahren, welchen Weg man als Frau gehen möchte. Ebenso wichtig ist es, Bewusstheit darüber zu erlangen, ob und welchen Partner man an seine Seite wünscht. Bestenfalls sollte kein Partner aufgrund eines eigenen Mangels gewählt werden, denn die beständige Suche nach einer „besseren Hälfte“ hält in der eigenen Bedürftigkeit gefangen und bestärkt diese noch dazu. Zudem ist es hilfreich, sich nicht an anderen Frauen zu messen, so sein zu wollen wie. Sich immerzu auf allen Ebenen optimieren zu wollen und pausenlos an der äußeren Hülle, der häuslichen oder beruflichen Perfektion zu feilen, sondern zu lernen sich so anzunehmen, wie man ist – mit all den Schwächen und Stärken, mit all den Bedürfnissen und Wünschen, mit all der Schönheit und den Makeln, mit all der Kraft und Inspiration, mit all dem Mut und den Zweifeln, einfach mit all dem, was einen Menschen ausmacht – um dann ein Ziel zu entwickeln, auf das man sich in seinem eigenen Tempo zubewegen kann. Selbstannahme bedeutet jedoch nicht, sich ein Leben lang in Selbstgefälligkeit auszuruhen, sondern immer wieder zu überprüfen, ob die Bedingungen so sind, wie man sie gerne haben möchte und bei Bedarf nicht darauf zu warten, dass jemand anders handelt, sondern es selbst zu tun.

Wenn man sich beständig auf sich selbst zubewegt und beginnt, sich im „Sosein“ zu akzeptieren, ohne etwas erzwingen zu wollen, dann gewinnt man Vertrauen darin, die Frau zu sein, die man sein möchte. Eine Frau, die selbstverständlich Frau sein kann, darf und möchte. Eine, die trotz der Stärke, die sie in sich trägt, auch schwach sein darf. Eine, die gerne gibt, aber auch gerne nimmt. Eine, die ihre Bedürfnisse nach Zuwendung und Nähe erkennt, benennt und einfordert. Eine, die sich nicht schämt und sich kein schlechtes Gewissen erzeugen lässt, wenn sie den Erwartungen, die die gesellschaftliche Rolle an sie stellt, nicht entspricht. Eine Frau, die sich ihres Frauseins bewusst ist und Verantwortung für sich selbst und ihr Handeln übernimmt.

Die befreite Frau

Weiblich ist, wer weiblich ist! Eine Frau, die sich vollständig in ihrem weiblichen Körper zuhause fühlt, ist weiblich. Die ihre Makel, Schwächen, ihre kleinen Unausgewogenheiten so angenommen hat, wie sie sind. Eine Frau, die ihr Potential und ihre Fähigkeiten entdeckt hat und diese vorurteilsfrei lebt. Die sich selbst als Frau erlebt und als Frau mit ihrem Umfeld in Resonanz geht, ohne sich selbst abzuwerten, zu be- oder zu verurteilen. Eine Frau, die um die Kraft ihrer Weiblichkeit weiß, die sowohl schöpferisch, kreativ, aufnehmend, anziehend, empathisch, als auch kraftvoll, dynamisch und impulsierend sein kann. Eine Frau, die sich nicht selbst begrenzt und beschränkt, die sich nicht an die Regeln und Konventionen hält, die die Gesellschaft für sie parat hält. Sondern eine, die ihren eigenen Weg findet und geht. Eine, die ihre weibliche Essenz lebt. Die nicht fragt, wie sie sein muss, sondern die selbst herausfindet, wie sie als Frau sein möchte. Die selbstverständlich weiblich ist, weil sie gar nichts anderes sein kann, als weiblich – unbeschreiblich weiblich – zu sein.

Eine, die sich für ihr Frausein entschieden hat, die die Energien von Mutter Theresa, Marilyn Monroe und Pippi Langstrumpf in sich vereint, sie kombiniert und nach Bedarf einsetzt. Die ihre natürliche, authentische Weiblichkeit in jeder Zelle ihres Körpers spürt und lebt. Eine Frau, die nicht mehr entsprechen möchte, sondern eine, die sich ihrer weiblichen Präsenz vollständig bewusst ist. Eine befreite Frau, die für sich selbst einsteht und hinter sich steht. Eine, die sich erlaubt, ganz Frau zu sein.

Sowohl bei der Frau als auch beim Mann geht es letztlich darum, die Balance zwischen Stärke und Schwäche zu finden und diese in einem lebendigen Austausch und erfülltem Miteinander zu leben. Das Leben als einen gemeinsamen Tanz zu gestalten, bei dem jeder mal die Führung übernehmen, jeder stark aber auch jeder schwach sein darf. Für das harmonische Funktionieren einer Gemeinschaft ist es unabdingbar, dem anderen Geschlecht Respekt und Achtung zu zollen, es nicht zu verurteilen, sondern es in seiner Andersartigkeit und auch in seiner Gleichheit zu akzeptieren. Es für seine Qualitäten zu schätzen, für das Besondere, das in jedem Geschlecht und auch in jedem Menschen wohnt.

Lies bitte auch: Der befreite Mann

 

Foto: pixabay

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