von Alexa Förster
Die Dunkelheit fragt nicht. Sie steht still und schweigt. Schützend legt sie sich um uns, als wir aus dem Auto steigen. Am Rande eines kleinen Waldes liegt die Schonung, die das Ziel unseres abendlichen Ausflugs ist. Klein ist sie und eingezäunt und dennoch groß genug, um ein reges Kommen und Gehen auf dem Parkplatz zu erlauben. Die Luft ist kalt an diesen dunklen Tagen vor Weihnachten. Weiße Wölkchen zeichnet unser Atem in die Schwärze der beginnenden Nacht. Inmitten der Schonung steht ein alter, dunkelgrün gestrichener Wohnwagen. Er ist Dreh- und Angelpunkt des vorweihnachtlichen Trubels.
Wir gehen gerne ein paar Schritte. Selbst wenn wir näher an das Geschehen hätten ran wollen, wären bereits alle Plätze belegt gewesen. In erster Reihe stehen die, die sich nicht so gerne die Schuhe schmutzig machen. Es sind die, die lieber direkt vor den stattlichsten Bäumen aus ihren üppigen Autos aussteigen und vor denen zu stehen kommen, die im Lichte des Wohnwagens, an einem Zaun lehnen. Dort finden sie die, die ihren gehobenen Ansprüchen genügen. Die, die vor Schönheit nur so trotzten. Schlank und hochgewachsen. Makellos ihr Äußeres. Formschön und Pfeilgerade ihre Spitze. Sie tragen den prunkvollen Namen „Nordmann“ und sind beliebt bei Jung und Alt. Es sind die, die Jedermann gewogen sind, die, die nicht unangenehm auffallen. Ihr dichtes dunkelgrünes Kleid, ihre stumpfen Nadeln und ihre lange Haltbarkeit fördern ihre Beliebtheit. Und vor allem geht ihnen das größte Manko eines Weihnachtsbaumedaseins ab. Sie nadeln nicht! Unschön allein die Vorstellung, sich um die Hinterlassenschaften, eines in einen überhitzen Wohnzimmer stehenden Baumes, während der Feiertage kümmern zu müssen. Doch die Nordmänner sind ein Segen, für die auf Perfektheit getrimmten Weihnachtsbaumeinkäufer. Höher, gerader und breiter als seine Artgenossen soll das Baumoptium möglichst sein, prachtvoller als je zuvor, sodass alle Weihnachtsgäste vor Ehrfurcht erstaunen und einem vollkommen Weihnachtsfest – jedenfalls von Baumseiten – nichts mehr im Wege steht.
Mit behandschuhten Fingern weisen die Kaufbereiten dem Verkäufer die Richtung. Dieser, auf Gefallen gepolt, dreht und wendet eifrig den Baum, preist ihn wärmstens an und erwartet ein zustimmendes Nicken. Ist dieses bei ihm eingegangen, hüllt er den stattlichen Baum in einen weißen Transportschlauch und hievt ihn in den Kofferraum eines der großen, kastenartigen Fahrzeuge, das eigens für diesen Zweck mit einer Schutzgummimatte ausgelegt wurde.
Große Scheine wechseln im spärlichen Licht des Wohnwagens ihren Besitzer. Die heimelige Stimmung wird von hellen Scheinwerfern vertrieben, bevor die dicken Reifen der schweren Fahrzeuge sich tief in den aufgewühlten Untergrund hineinfressen.
Wir passieren das Geschehen, lassen den grünen Wohnwagen links liegen. Mit dem Ziel vor Augen tasten wir uns entlang des Zaunes tiefer in die Dunkelheit hinein. Die Schönheit, der am Zaun Lehnenden, schmälert sich mit jedem Schritt. Die Bäume, die hier im Restlicht der Wohnwagenbeleuchtung stehen, sind deutlich kleiner und weniger prunkvoll. Es sind Blautannen und Fichten, die ob der Trennung von Wurzeln und Erdreich, bereits beginnen sich ihres Kleides zu entledigen.
Wie in jedem Jahr sind wir gut vorbereitet. Der Strahl der Taschenlampe geht voran und führt uns tiefer in den Bereich hinein, der nur selten von Käufern aufgesucht wird. Der Boden unter unseren Füßen ist fester, längst nicht so ausgetreten wie weiter vorne. Von der Dunkelheit sicher geborgen, stehen hier die Kleinen und Schiefen, die, deren Spitzen einen Knick haben, die nicht gleichmäßig und formschön gewachsen sind. Es sind Unperfekten und Aussortierten, die sich hier in der Ecke herumdrücken, die, die kaum jemand jemals eines Blickes würdigt. Doch genau sie sind es, zu denen wir wollen. Suchend tastet die Taschenlampe die Bäume ab. Hier im Schatten der Schönheiten finden wir den, der uns begleiten, den, der mit uns heimkommen wird.
Wir leuchten und schauen, beraten uns: Den könnten wir auf ein Höckerchen stellen. Dort könnten wir den großen Strohstern in die Spitze stecken. Wenn wir ihn so drehen, dann sieht man das große Loch nicht so sehr. Bei diesem müssten wir ein wenig von den unteren Zweigen wegnehmen.
Wir entscheiden uns: etwa schulterhoch, der Stamm mit leichtem Rechtsdrall, die Spitze mit Knick, auf der einen Seite ausladend, auf der anderen spärlich bestückt. Wir packen die dicken Handschuhe aus, greifen den stacheligen kleinen Kerl beim Schopfe und tragen ihn ins Licht. Strahlend präsentieren wir unsere Wahl dem Verkäufer. Ein Hauch von Mitleid überfliegt sein Gesicht, als er das Resultat unserer Suche betrachtet. Ob wir uns sicher seien, fragt er. Im vorderen Teil würden wir gewiss noch ein schöneres Exemplar finden, regt er an. Doch wir sind uns einig und schütteln synchron die Köpfe. Verlegen schaut der Baumverkäufer zu Boden, als er uns den Preis nennt. Mit Freude überreichen wir ihm die Kaufsumme und tragen unseren kleinen grünen Freund zum Auto. Kaum zuhause angekommen, befreien wir ihn von dem weißen Wurstnetz, in dem er feststeckt und stellen ihn ins Wasser.
Schön, dass du da bist, denke ich, immer wenn ich aus dem Wohnzimmerfenster schaue. Im Grün der Wintergrünen eingereiht, steht er draußen auf der Terrasse und sieht irgendwie zufrieden aus. Vielleicht weiß er um seine Berufung, vielleicht aber auch nicht.
Zweimal geschlafen, dann ist es endlich soweit, wir holen ihn hinein. Aufgeregt tanzen wir um ihn herum, drehen und wenden ihn, stellen unseren kleinen grünen Freund auf ein Höckerchen, richten ihn aus. Nein, etwas weiter zurück und ein bisschen mehr nach links. Ja, genau so, so zeigt er sich von seiner besten Seite. Wir hüllen ihn in ein festlichstes Gewand, kleiden ihn mit Kugeln, Lichtern, Sternen, machen ihn für seinen großen Auftritt richtig fein.
Gut, er steht schief und auch der große Strohstern kann seine krumme Spitze nicht kaschieren, doch er ist der Schönste, so viel steht fest! Schaut nur, rufe ich durch das Haus, der Baum ist fertig. Seht nur, wie schön er ist, wie hell er leuchtet, wie schön die Kugeln glänzen. Andächtig sitzen wir auf dem Sofa und lassen die stille Kraft auf uns wirken, riechen den zarten Duft der Nadeln, der sich in der Wärme des Zimmers verströmt. Leise und kraftvoll strahlt er vor sich hin. Man könnte glauben, er richtet sich auf, wächst unter unseren wohlwollenden Blicken.
Und dann ist es soweit, der große Moment ist da. Er steht im Mittelpunkt. Alle Augen sind auf ihn gerichtet. Stimmungsvoll erfüllt er den Raum mit seinem hellen Schein und taucht das weihnachtliche Geschehen in einen friedvollen Glanz.
Wahrlich, denke ich, er ist, wie in jedem Jahr, der schönste Baum, den wir jemals hatten.
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Fotos: zur Verfügung gestellt von Alexa Förster.