Ein Text von Alexa Förster.
Wer etwas auf sich hält, der optimiert sich!
Selbstoptimierung ist das neue Statussymbol der Schönen und Reichen, der Chefs und Chefinnen, der Vielleisterinnen, der Vornesteher und Wichtigtuer. Aber nicht nur die Chefetagen durchdringt der Wahn nach Perfektion, nein auch vor den unzähligen Followern der Sozial-Media „Sternchen“ macht die Optimierungswut nicht halt.
Selbstoptimierung dringt in das private Leben ein und breitet sich, wie ein Krake, in den Köpfen der nach Vollständigkeit Suchenden aus. Selbstoptimierer wollen das Optimum und das jederzeit – koste es, was es wolle. Mit maximaler Leistung, auffälliger Schönheit, optimaler Ernährung und geistiger Standfestigkeit gilt es sich abzuheben, von der breiten Masse abzugrenzen, sich aus dem Moloch der Trägheit zu befreien und letztlich sogar aus der Begrenztheit des Menschseins empor zu heben, um leistungsfähiger, gesünder, vitaler, jünger und vor allem glücklicher als der Durchschnittsmensch zu sein.
Schlucken, ohne Wenn und Aber
Selbstoptimierung ist ein in Form bringen, ein passend machen, eine Gewinnmaximierung des menschlichen Wesens, das nach technischen Parametern bemessen, bewertet, beurteilt und verglichen wird. Der Trend der Selbstoptimierung passt hervorragend in unsere ständig fordernde und hoch technisierte Welt. Er ist ein Muss für alle, die es weit bringen wollen.
Produkte, wie Superfood, Kraft-Smoothies oder zellerneuerndeAufbaushakes, Anti-Aging-Präparate und andere Lifestyle Produkte werden kompromisslos geschluckt. Tragen die Produkte dann noch den Aufdruck, Bio, vegan oder AIP(Autoimmunprotokoll – Lebensmittel, die Lektine enthalten werden aus der Ernährung aussortiert), steht der Kaufbereitschaft der Optimierer nichts mehr im Wege. Wunderpräparate, die die Leitungsfähigkeit steigern, das Wohlbefinden toppen, Schönheit hervorlocken und sogar das Älterwerden ausbremsen, stehen im Internet allzeit und in jeder Preisklasse bereit. Schwäche, Falten und Knittrigkeitenjeglicher Art sind ein Nogo für die Selbstperformer. Die Ziele sind hoch gesteckt, doch das ist kein Problem, denn der Selbstoptimiererliebt die Herausforderung. Umso schwerer und komplizierter der Weg, desto besser ist es für seinen Selbstwert. Es muss viel getan und viel geschluckt werden, um den selbst gesetzten Erwartungen von maximaler Vitalität und optimaler Leistungsfähigkeit zu entsprechen.
Was nicht passt, wird passend gemacht!
Aber mit Schlucken allein ist es noch nicht getan, denn ein vorzeigbarer Körper bedarf eines größeren Aufwands. Erfreulicherweise sind Dank der Schönheitschirurgie der Körperformung und in Szenesetzung kaum Grenzen gesetzt. Was nicht passt, wird passend gemacht, entweder durch das Messer des Chirurgen oder dem neusten Trend des „Bio-Hacking“. Genau wie bei einem Computer geht es hier um das Eindringen in Programme – das hacken– der Hardware. Mit „Bio-Hacking“ wird sich Zugriff zu den Steuerungsmechanismen im Gehirn verschafft, um das Optimum der Produktivität und Leistungsfähigkeit zu befördern. „Du möchtest hartnäckiges Fett loswerden, einige KgMuskeln aufbauen, Deine athletische Performance upgraden oder einfach nur jeden Tag vor 100%frischer Energie strotzen?“, dieser Slogan ist sicher zielführend und trifft direkt in die klaffende Wunde einer Gesellschaft, die auf Makellosigkeit programmiert ist und sich über den Vergleich von Äußerlichkeiten definiert. Der Optimierer fühlt sich hausgefordert und gibt auch auf der körperlichen Ebene das Maximum. Selbstverständlich mit Personaltrainer, nach stringentem Zeitplan und unter der ständigen Kontrolle eines Fitness Trackers.Die Überwachung am Handgelenk sagt dem Eifrigen, wo es lang geht, zeigt auf, ob er sich ausreichend bewegt hat, die zugeführte Kalorienmenge zum Tagesbedarf passt, wie oft er atmet und ob das Herz kraftvoll schlägt. Ein Computer ersetzt die Selbstwahrnehmung und zeigt den Istzustand des Befindens an, gibt vor, ob sich der Analysierte derzeit in Ruhe oder im Stress befindet. Er ist ein wahrer Heilsbringer für Menschen, die aufgegeben haben sich selbst zu fühlen und sich völlig unkritisch den Messdaten einer Maschine unterwerfen. Und nicht nur das, durch die Speicherung dieser Leistungsdaten im Internet, kann, wer auch immer, sich ständigen Zugriff über das persönliche Befinden verschaffen, es abrufen und für seine Zwecke nutzen und wer weiß, womöglich auch manipulieren.
Meditation nach dem „Drive-in“ Prinzip
Auch das „Herrichten“ der geistigen Ebene ist Pflicht für den Optimierer. Es ist kein Geheimnis, wie wichtig und effizient mentale Stärke, Resilienz und innere Ruhe sind. Auch diese lässt sich schulen und sicher auch maximal, bis zur absoluten Selbstkontrolle, optimieren. Suggestive Affirmationen zur Leistungssteigerung – „Du bist stark!“ „Du schaffst das!“ – überdecken leichtfüßig jedes aufkeimendes Gefühl von Unbehagen oder Schwäche. Ein Tag ohne geistige Hygiene ist kein guter Tag für den Optimierer, woher soll er sonst die Stärke nehmen 12 bis 18 Stunden hoch konzentriert zu arbeiten. Aber ein Tag ist endlich, auch der eines Selbstoptimierers. Und weil die Ziele hoch gesteckt und die Erwartungen drängend sind, wird aus der Not eine Tugend. Ein neuer Trend aus den USA bricht sich Bahn und folgt unaufgefordert dem Yogatrend. Die „Dropin Mediation“ wurde ins Leben gerufen und erfreut sich dort bereits größter Beliebtheit. „Dropin Meditation“ bedeutet, schaue vorbei und meditiere. Unaufwändig und selbst in das kleinste Zeitfenster hineinpressbar, findet der nach Stille suchende in 30 Minuten inneren Frieden und das rund um die Uhr – quasi Meditation to go.Ein Optimum an Einkehr für eine unter ständigem Zeitdruck stehenden Gesellschaft.
Schönheit – um jeden Preis
Obwohl der Optimierer mit großem Aufwand bereits einiges erreicht hat, ist er dennoch nicht am Ende seiner Selbstperformance angekommen. Zum guten Schluss steht im Selbstoptimierungsquadrat, bestehend aus Ernährung, Bewegung und mentalem Training, die Schönheit. Ein strahlendes Äußeres ist nicht nur selbstverständlich, sondern es ist ebenfalls Pflicht. Schönheit muss her und das um jeden Preis. Durch die globale Vernetzung steht dem Selbstperformerein unbegrenztes Feld an Möglichkeiten offen. Es gilt das Beste aus einer mit Makeln behafteten Hülle herauszuholen. Nahtlose Bräune, Push-ups, nicht nur für die Brust, sondern für den Po, Kraft- und Ausdauertraining, top frisiert, manikürt, tätowiert und trendige Kleidung, sind das Minimum an Aufwand, dass für eine adrette äußere Schale betrieben werden muss. Und was sich nicht in Schale werfen lässt, das wird zugekleistert. Contouring heißt der neue Trend der jungen Selbstperformerinnen und ist eine Schminktechnik, die durch mehrlagige Auftragungen von Make-up ein maskenhaftes Aussehen verleiht. Die vielfarbige Fassade ist ein Muss für alle Schönheitsoptimierten, die sich auf Instagram posten und ganz oben mitmischen möchten.
Wem dient die Selbstoptimierung?
Die Selbstoptimierung dient einer kapitalgesteuerten Gesellschaft, die auf Vermehrung getrimmt ist. Hier sind es die selbstoptimierten Menschen, die das Äußerste aus sich herauszuholen gelernt haben, um das Kapitalpferd maximal voranzutreiben. Frühzeitig auf Äußerlichkeiten gedrillt, den steten Vergleich gewohnt und den Leistungsgedanken bereits mit der Muttermilch eingesogen, haben die Optimierten bedauerlicherweise das Gefühl für das Miteinander, für Schwächere und das Zusammenspiel des Ganzen aus ihrem Sichtfeld verbannt. Selbstoptimiert zu sein, heißt sich abzuheben, besser zu sein, über den Dingen zu stehen, doch es heißt nicht unbedingt bei sich selbst zu sein, auch wenn der „Informbringung“ über Gebühr viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Ziel der Optimierung ist nicht die Selbstwahrnehmung und das Erlangen von Bewusstheit, nicht das Fühlen des Selbst, sondern ein Herausputzen, das Herrichten einer Fassade, die möglichst leistungsfähig ist und jeglichem Wettbewerb standhält.
Der Selbstoptimierung liegt ein fataler Fehler zugrunde
Der Optimierung geht die Grundannahme voraus, dass wir so, wie wir sind, nicht richtig sind – also grundsätzlich defizitär, überarbeitungsbedürftig, fehlerhaft und falsch. Nur weil wir uns – auf allen Ebenen – maximal optimiert haben, lieben wir uns noch lange nicht selbst und nehmen uns bedingungslos, mit all unseren Schwächen und Makeln an, so wie wir sind. Und gleichgültig, wie sehr wir auch bemüht sind, die Hülle aufzubauen, die Zweifel, nicht richtig zu sein, schwelen in unserem tiefsten Inneren unangerührt weiter und treiben uns voran. Wenn der Optimierer nämlich irgendwann und aus welchen Gründen auch immer, aufhört sich zu optimieren, was bleibt dann übrig? Ein ebenfalls gealterter, gereifter Mensch, dessen Lebenszeit endlich ist. Ein solcher Mensch hat im Unterschied zu denen, die ihr Dasein bewusst genossen haben, vielleicht alles gegeben, um vorne mitzuspielen, gut dazustehen und vor allem, um zu genügen. Er hat sich eine Fassade aufgebaut, sich mental, wie physisch auf das Maximum programmiert, um sich letztlich selbst nicht zu fühlen, mit seiner Schwäche, seinen Ängsten, seinem Versagen und seinem tiefen Bedürfnis nach Angenommensein und Liebe.
Selbstoptimierung erwächst aus der „Angst vor Mangel“
Die Suche nach Glück wird als Motor der Optimierung diskutiert, doch viel einleuchtender erscheint mir die These, das die Selbstoptimierer sich von dem ständig nagenden Gefühl leiten lassen, nicht genug zu sein, getan oder bekommen zu haben. Die Angst vor Mangel treibt den Optimierer an. Es ist die Angst, nicht satt zu werden, immer zu kurz zu kommen. Menschen mit dieser „Grundangst“ möchten mehr vom Leben haben, weil ihnen ihrer Auffassung nach immer etwas fehlt: Geld, Zeit, Erfolg, Aufmerksamkeit, Wissen, Leistungsfähigkeit, Schönheit oder etwas anderes. Das Angstgefühl ist so elementar, das betroffene Menschen nahezu in Panik geraten, wenn sie glauben, nicht genug zu bekommen, ob es sich nun um materielle Dinge oder zwischenmenschliche Zuwendungen handelt, um Werte oder Freiheiten. Die Angst treibt sie an und sie sind bereit, nahezu alles(!) zu tun, um ihre nicht selten hochgesteckten Ziele zu erreichen. Dass aber gelingt ihnen oft nicht, was wiederum die Angst weiter anfeuert. „Chronische Mangelgefühle“ entstehen und die Hoffnung auf Sicherheit und Frieden knüpft sich fast ausschließlich an die Bedingung, diese Ziele erreichen zu müssen. Erst wenn sie alles erreicht, sich selbst maximal optimiert haben, könnte Ruhe eintreten. Aber da die Optimierer nie wirklich mit sich selbst zufrieden sind, ist der Zustand der Ruhe auch nur von kurzer Dauer. Die Spirale dreht sich weiter und so erwächst aus der dauerhaft unbewusst präsenten Angst vor Mangel die Gier. Die Gier nach dem Unerreichbaren, dem Vollkommenen, dem Maximalen, dem Optimum.
Selbstliebe statt Selbstoptimierung
Menschen können sich optimieren und gleichzeitig verlieren, denn Selbstoptimierung ist fehlgeleitete Selbstliebe. Solange wir uns von der Angst vor Mangel leiten lassen, werden wir dem Optimierungsdrang nicht entkommen können. Wenn wir versuchen uns mit aller Macht gegen unsere Schwäche zu wehren, dann wehren wir uns gegen das Menschsein an sich. Die Selbstoptimierung ist der Krieg gegen unsere Unzulänglichkeiten. Wer im Krieg ist, der kann nicht gleichzeitig in Frieden sein und sich annehmen, wie er ist. Für die Selbstannahme, gar Selbstliebe bedarf es aber des Friedens mit sich selbst. Wenn wir milde werden mit uns selbst, mit unseren Wünschen und Bedürfnissen, unseren Ängsten, Makeln und Schwächen, dann gehen wir mit großen Schritten auf die Selbstliebe zu. Wenn wir beginnen, uns so zu akzeptieren, wie wir sind, dann können wir unser wahres Potenzial entfalten, unsere Talente und Besonderheiten entdecken und das hervorlocken, was in uns steckt. Denn wenn wir uns wirklich einlassen, auf das was wir sind, nämlich fühlende Menschen und keine programmierbare Maschinen, dann können wir lernen die Hürden zu überwinden, die uns im Wege stehen, die uns blockieren oder ständig vorantreiben und uns letztlich vor uns selbst fliehen lassen.
Alexa Förster ist Heilpraktikerin und Autorin.
Mit ihrer Kollegin Natalie Nicola gründete sie
in Bielefeld das Projekt „Schreib-Vielfalt“,
eine Fusion aus Lektorin & Autorin, die
Schreibende auf ihrem individuellen Weg in die
Öffentlichkeit unterstützt.
Foto 1: Clipdealer