Michel und Isabelle – Ein Katzenfrühling

Schneeglöcken Living in OWL

Michel schleicht durch den Garten. Er ist enttäuscht. Nicht ein einziges Mäuschen ist zu sehen. Dabei hat Michel so eine große Lust zu jagen. Es dürfte auch ein Vogel sein, aber nirgends piepst oder singt es. Mucksmäuschenstill ist es draußen. Der Rasen ist mit Schnee zugedeckt, kein Grün, kein Bunt. Michel mag das nicht. Er sehnt sich nach dem Frühling.

Auf der Brücke am Gartenteich sitzt Isabella, die rote Katze vom Nachbarn. Anmutig putzt sie ihr Fell. Michel bleibt in Deckung hinter dem Kirschlorbeer und beobachtet das Katzenmädchen. Ihm wird warm ums Herz. Vergessen sind Mäusehäppchen oder Geflügelleckerchen. Eine neue Sehnsucht erwacht und deutlich spürt er den Frühling in seinem Blut. Es pocht und wallt, es knistert und kichert so laut, dass Isabella es hören könnte. Das denkt der Michel jedenfalls. Doch das Katzenmädchen schaut nicht einmal auf. Unbeirrt putzt es weiter sein leuchtendes Fell. „Sie ist so wunderschön“, denkt Michel und ein tiefer Seufzer entfährt seiner Kehle. Isabella schaut erschrocken auf, wartet einen Moment und widmet sich dann wieder ihrer Schönheitspflege. „Wie soll ich mich ihr nähern?“, denkt Michel. Da fällt ihm ein, dass er wunderschön singen kann und das will er gleich einmal ausprobieren. Irgendwie musste Isabella doch zu beeindrucken sein.
„Mi, mi, mi, mi“, macht er vorsichtig und dann singt er:

Du schönste aller Katzen,
du Salz in meiner Suppe,
vom Himmel fällt für dich
vom Sternchen eine Schnuppe.
Ich liebe dich, du Schöne,
willst du es auch nicht glauben.
Es fehlen mir die Töne,
du wirst den Schlaf mir rauben.
Erhör mich, Isabellaschatz.
Ich reich dir meine Tatze.
An meiner Seite ist dein Platz,
du wunderschöne Katze.

Isabella hat sich aufgerichtet und lauscht dem Gesang, der nicht schön, aber doch sehr inhaltvoll ist. Welcher Katze gefällt es nicht, wenn man ihr ein Lied widmet und auch, wenn sie den Michel bisher nicht sonderlich gut leiden konnte, fühlt sie sich geschmeichelt. „Komm her, du kleiner Charmeur“, ruft sie deshalb leise und das lässt der Michel sich nicht zweimal sagen.

Den Rest des Winters und den Frühling haben die beiden miteinander verbracht und als im Mai der Nachwuchs das Licht der Welt erblickte, schien das Glück perfekt. Doch – Katzen sind nicht treu, nein. Als Isabella noch im Wochenbett mit den Kleinen beschäftigt war, entflammte Michels Herz für ein anderes Katzenmädchen. Nur eines muss man dem Michel lassen: Er hat niemals ein Lied zweimal gesungen, sondern stets ein neues erfunden, wenn er sich neu verliebte. Das ist doch auch was, oder?

Text: Regina Meier zu Verl

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