Ein Text von Alexa Förster.
„Ein Farbentraum aus Grün und Blau, ein Ausblick meiner Seele zu Papier gebracht, stehe ich vor meinem Vater und möchte ihm stolz mein Werk präsentieren. Seine Augen schwerfällig vom Bildschirm lösend schaut er in meine Richtung. Weder treffen sich unsere Blicke noch würdigt er mein Bild eines Blickes. Nebelgraues Desinteresse verhüllt seine Pupillen. Ohne sich mir wirklich zuzuwenden spricht er: „Fein Lena, das hast du gut gemacht!“. Erwartungsvoll schaue ich ihn an, möchte seinen Augen begegnen, wirkliche Anteilnahme und Freude darin lesen. Doch ehe sich unsere Blicke treffen, hat er sein Gesicht wieder abgewandt. Seine Aufmerksamkeit gleitet weg, wird eingenommen von seinen Interessen, verschwindet in virtuellen Räumen. Ich gehöre nicht zu seiner Welt, soviel wird mir in diesem kurzen Augenblick deutlich. Meine Seele in Händen haltend, stehe ich tiefgetroffen da und frage mich im Stillen, warum Augen und Münder nicht dieselbe Sprache sprechen. Wieso Worte Lippen passieren, die sich in den Augen nicht wiederfinden – Münder lügen dürfen, während Augen die Wahrheit sagen. Ratlosigkeit macht sich in mir breit. Mit hängenden Schultern schleiche ich zurück in mein Zimmer. Achtlos lasse ich das Bild zu Boden gleiten und suche Schutz in meiner Höhle. Im Halbdunkel lausche ich nach Innen und komme zu der Erkenntnis, dass ich es scheinbar nicht gut genug gemacht habe, sonst hätte mein Vater mich sicher angesehen und das Bild von Herzen gelobt. Mein Beschluss ist schnell gefasst: Ab jetzt muss ich mich mehr anstrengen, damit ich seines Lobes würdig werde.“
(Auszug aus dem Buch: Und ewig murmelt das Tier: Ich sehe was, was Du nicht siehst. Alexa Förster, Seite 66ff.)
Der Same der Kreativität
Einst wurde der Same in jedem von uns gesät. Ein Same, der das Einzigartige enthält, das Besondere, das Individuelle. Ein Same, der unsere Befähigungen und Talente in sich birgt. Ein Schatz in den Tiefen unseres Seins, den es zu entdecken gilt. Ein funkelnder Teil des Selbst, der als kreativer Ausdruck in jedem von uns angelegt ist. Er kann entdeckt, freigelegt, aber auch durch Desinteresse, ständige Ablenkung, nicht gesehen und nicht gefördert werden verkümmern und überdeckt werden.
Viele Menschen finden allein den Gedanken, eine kreative Ader zu besitzen befremdlich. Einige erahnen ihre Gabe, doch nur wenige glauben daran. Und selbst wenn sie es sich, mit Mühe zwar, aber dennoch vorstellen können, so vermögen sie doch keinen Zugang zu ihrem kreativen Potential zu finden. Sie haben weder Ahnung davon, wie es sich zum Leben erwecken, geschweige denn nähren und zum Wachsen anhalten lässt. Vielleicht hält eine namenlose Angst die Menschen auch davon ab, das kreative Potential hervorzulocken und zu befördern, gar anzutreiben. Vielleicht verspüren sie eine aufkeimende Angst, dass aus dem Samen eine kräftige, raumnehmende Pflanze erwachsen könnte, sich ein Drang entwickeln kann, der nicht mehr zu stoppen ist, der gar lebensverändernd werden könnte. Ein Drang, der sie vom Gewohnten wegführt, hineinführt in unbändige Kreativität, ungeahnte Leichtigkeit und Freiheit hinein, die sie nie zu träumen gewagt hätten. Eine Freiheit, die entstehen kann, wenn Räume betreten werden, die grenzenlos erscheinen, weil sich der Horizont weitet und nicht durch den Verstand und die Moralvorstellungen begrenzt werden. Ein Raum der Fantasie, des Spielens, des sich Ausprobierens, jenseits von Begrenzung, Bewertung und Leistungsdruck. Ein Raum des Selbst, der ungeahnte Möglichkeiten bietet.
Wenn Sie, liebe Leserin und lieber Leser, einen Augenblick innehalten und alle Zweifel für einige Sekunden bei Seite schieben, vielleicht ist es Ihnen dann möglich, ein leichtes Rumoren in Ihrem Inneren wahrzunehmen. Eine kleine aufwärtsperlende Bewegung, wie das Sprudeln von Mineralwasser im Glas. Ein zartes Aufstreben etwas bislang Unbekanntem, dass sich vorsichtig den Weg bahnt. Wenn Sie es erlauben und das Aufperlen nicht gleich wieder unterbinden, sondern zulassen und nachfühlen, was sich in ihm verbergen könnte, dann kommen Sie Ihrer Kreativität vielleicht schon in diesem Moment ein kleines bisschen näher. Und wenn Sie dem Aufstrebenden dann noch ein wenig Raum geben und beginnen nicht, so wie sie es womöglich häufig mit Ihrem Wahrnehmungen tun, sie gekonnt zu überspielen, wegzudrücken oder auszublenden, dann darf es weitergehen, mit der Selbstentfaltung, mit den ersten Schritten des eigenen Ausdrucks.
Ich möchte Ihnen nahelegen, Ihre Wahrnehmungen nicht einfach zu übergehen, denn was Sie möglicherweise bislang noch nicht wussten und noch weniger glaubten ist, dass das Nichtzuwenden, das Überdecken und dem Gewohnten zu folgen, dass Dahinsiechen und somit den Tod der Kreativität und des eigenen Ausdrucks bedeuten kann.
Doch die gute Nachricht, die Kreativität muss nicht sterben, wenn Sie es nicht wollen. Sie können sie jederzeit zum Leben erwecken und den Drang sich selbst ausdrücken zu wollen, fördern und nähren.
Hürden der Selbstentfaltung
Doch möglicherweise gibt es Hürden, solche die der Selbstentfaltung im Wege stehen. Das Entsprechen-Wollen, das sich Einfügen in Systeme und Muster, in denen wir uns bewegen, die uns gesellschaftlich prägen und geprägt haben, sind wie ein fester Deckel auf der Dose, in dem unserer kreativer Same schlummert. Druck, der durch die eigenen Erwartungen entsteht, aber auch durch die Erwartungen anderer, die an uns herangetragen werden, beschränkt die geistige Weite und schmälert gleichzeitig den Raum, in dem sich Kreativität entwickeln und entfalten kann. Kreativität, ist ein sich Wahrnehmen, sich selbst zum Ausdruck bringen, ein sich Ausbreiten, sowohl mental als auch physisch. Doch wieviel Leben hauchen wir dem Wunsch uns auszudrücken ein – in einem vollen Alltag, einem durchstrukturierten Tag, in einem auf Entspannung verplanten Urlaub? Wie oft beschneiden wir uns bewusst oder unbewusst, reden wir Bedürfnisse klein und unterwerfen sie Dingen, die wir, oder auch andere, für vermeintlich wichtiger halten? Dingen, denen wir gewohnheitsmäßig den Vorrang einräumen? Oft stellen wir das, was sich in uns regt, uns innerlich bewegt in den Hintergrund, nehmen Abstand von dem, was wir eigentlich – wirklich – tun möchten und ordnen unsere Bedürfnisse und Wünsche auf unserer eigenen Prioritätenliste ganz unten ein.
Die Gründe für dieses Verhalten können zahlreich sein. Ein entscheidender und wohl auch sehr wichtiger Grund liegt darin, dass wir glauben, etwas nicht oder nicht gut genug zu können. Vielleicht hat sich der Glaube fest in uns eingebrannt, uns sprachlich nicht einwandfrei ausdrücken, nicht malen oder nicht singen zu können. Womöglich hatten wir als Kinder sogar Spaß daran, doch aufgrund von Abwertungen anderer Personen haben wir unser Nichtkönnen, „unser mangelndes Talent“, zu unserem stillen Wissen, zu einem unserer Glaubenssätze werden lassen und denken: „Ich kann das sowieso nicht!“ Mit den Jahren haben wir diesen Satz so fest in uns verankert, sodass er sich wie eine unüberwindbare Mauer um jeglichen kreativen Ausdruck gelegt hat. Durch Selbstzweifel und Abwertungen haben wir unser Herz vor Neugier, Begeisterung und Freude und auch vor dem Drang uns auszudrücken verschlossen. Und warum? Weil andere uns nicht für gut genug befanden, uns an ihren eigenen hohen Ansprüchen maßen, diese auf uns übertrugen und sie zu dem Dogma machten, dem wir heute noch unterstehen. Unbemerkt wurden aus den Ansprüchen der anderen unsere eigenen Ansprüche, was zur Folge hatte, dass die Lebendigkeit jeglichen Ausdrucks in uns erstarb. Zunehmend wurde unsere Kreativität und die Freude etwas hervorzubringen und zeigen, in einen winzigen Raum unseres Sein gedrängt, in dem sie nun ihr klägliches Dasein fristet. Das aus der Reihe tanzen oder in den Vordergrund spielen, mit dem, was vielleicht einst aus uns herauskam, wurde kleingeredet, abgewertet und uns aberzogen. So ist es nicht verwunderlich, wenn es uns heute schwerfällt für uns selbst einzutreten oder etwas von uns zu zeigen. Doch wenn wir den Wunsch, uns zu zeigen wahrnehmen, dann sollten wir die Wanderschuhe anziehen, den Rucksack schultern und uns auf den Weg machen. Wir sollten beginnen für unseren Drang einzutreten, um ihn und somit auch uns selbst auf den Weg zu bringen.
Einstehen für den Weg der Selbstentfaltung
Es ist vermutlich kein einfacher, aber lohnenswerter Weg, den wir beschreiten. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden wir einige unserer Gewohnheiten hinterfragen und selbstauferlegte Regeln aufbrechen müssen, wenn wir beginnen, für uns und somit auch für unseren Wunsch uns selbst auszudrücken einzustehen. Wenn wir sagen: „Das möchte ich jetzt tun! Das ist mir wichtig! Das erfüllt mich! Ich mache das jetzt und es ist mir egal, was ihr denkt oder wie ihr das findest!“ Wir müssen lernen, für uns selbst und unsere Vorhaben einzustehen und uns den Raum und auch die Zeit geben, die es braucht, um uns wahrzunehmen und zu verwirklichen. Wir sollten mit dem, was uns auf der Seele brennt und es an die oberste Stelle unserer inneren Prioritätenliste rücken. Dabei ist es hilfreich zu formulieren, was uns wichtig ist. „Ich möchte jetzt keine Radtour machen, selbst wenn ich vor Jahren einmal Freude daran hatte. Ich möchte jetzt lieber kreativ sein und schreiben, malen, basteln – mich ausdrücken, auf meine ganz spezielle, eigene Weise.“
Vermutlich wird uns, wenn wir beginnen für unsere Bedürfnisse und Wünsche einzutreten, nicht nur ein laues Lüftchen, sondern ein strammer Wind entgegen blasen. Und doch müssen wir uns verständlich machen, genauso wie wir vielleicht unserer Mutter erklären mussten, dass wir als Kind zwar gerne Wackelpudding gegessen haben, doch heute keinen Wert mehr darauf legen. Es ist wichtig, dass wir unser Umfeld mit einbeziehen, es mitnehmen, an unserem Vorhaben teilhaben zu lassen. Es ist wichtig darüber zu reden, so, dass wir uns selbst beim Reden zuhören können, auch um uns selbst zu motivieren und zu stärken, mit dem, was wir tun und zukünftig tun möchten. Und natürlich und trotz aller guten und klaren Worte, kann es sein, dass wir uns unbeliebt machen, unser Umfeld mit dem Nichtmehrfunktionieren der gewohnten Mechanismen rat- und hilflos machen. Wenn wir nun statt gemeinsam zu bummeln oder essen zu gehen viel lieber schreiben möchten. Und zwar jetzt und sofort schreiben möchten, auch wenn wir noch kein konkretes Vorhaben vor Augen haben und unsere Autorenschaft eher einem zarten Windhauch, als einem handfesten Bestsellersturm entspricht. Dass wir schreiben möchten, um bei uns zu sein, um uns selbst Ausdruck zu verleihen, mit dem, was uns gerade in diesem Augenblick innerlich bewegt.
Wir tun gut daran, den in uns aufkeimenden Wind nicht zu unterdrücken, sondern unsere Flügel ausbreiten und uns selbst auf die Schwingen aus Neugier und Ausprobieren zu setzen, uns erlauben im Tun Erfahrungen zu sammeln und Fehler zu machen. Fehler, aus denen wir lernen und uns weiterentwickeln können. Die Entwicklung stellt sich wie von selbst ein, denn umso mehr wir unserem inneren Drang folgen, desto mehr Vertrauen werden wir in unser Tun gewinnen. Wir werden zunehmend unabhängiger von der Meinung und Bewertung anderer und schöpfen daraus den Mut weiter voranzuschreiten, um uns immer wieder neu auszuprobieren und dabei selbst zu entdecken, unsere Grenzen, Hürden, aber auch unser Potential und unser Talent zu etablieren. Es ist befreiend, nicht von Beginn an auf das Resultat zu schielen, sondern uns vor allem selbst mit der Freude des Tuns zu beschenken, darin baden, uns daran laben, unsere Seele im Raum der Kreativität tanzen lassen.
Es lebe die Kreativität!
Was passiert, wenn wir den Drang uns ausdrücken zwar wahrnehmen, ihn vielleicht sogar sehr deutlich spüren, ihn aber übergehen, wegdrücken und nicht leben? Wenn wir den Raum der Kreativität mit Alltagsphrasen und Floskeln, schmälern, abdunkeln, verhängen? Wenn wir den authentischen Selbstausdruck als brotlose Kunst, als unwichtig und nichtig abtun. Dann stirbt nicht nur unsere Kreativität, sondern auch wir selbst sterben – innerlich – Tag für Tag, Stück für Stück. Dann wird ein Teil von uns dunkel, zäh, hohl, traurig. Dann fühlen wir uns gedrückt, so als würde das, was wir ausdrücken möchten, sich in uns zu einem schwarzen, klebrigen Kloss zusammenballen und unsere Lebensenergie absorbieren. Dann wird jegliche Freude in unseren nicht gelebten Bedürfnissen kläglich ertrinken. Dann beschneiden wir uns selbst um den Genuss, den wir empfinden könnten, wenn wir uns mit dem, was wir ausdrücken möchten nach außen brächten, wenn wir stolz würden auf das, was aus uns herausgeflossen ist und sich manifestiert hat.
Kreativität ist ein Geschenk, das wir entdecken und annehmen können. Es ist fest verbunden mit der Freude des Auspackens, das Betrachtens, des Einlassen und Zulassen, des Anpacken, des Staunens, der Neugier und der Begeisterung. Es ist immer wieder neu, bekannt und unbekannt zugleich. Ein Geschenk des Selbstwerdens, des Erfahrens und des Weitergebens. Ein Geschenk, das sich mir im Schreiben offenbart hat und für das ich sehr dankbar bin.