Das bedingungslose Grundeinkommen – Utopie, Vision oder Schnapsidee?
In dieser mehrteiligen Reihe berichtet Michael Krakow in livinginowl vom Zustand unserer heutigen Gesellschaft und über Ressourcenverteilung in Deutschland. Er analysiert, wie zukunftsfest unser Land tatsächlich aufgestellt ist und erläutert die Möglichkeiten einer stabilen Existenzgrundlage für alle BürgerInnen.
Folge 3
Das scheue Reh des Kapitals
In Folge 1 und Folge 2 dieser Reihe haben wir die pekuniäre Situation von Obdachlosen, Erwerbslosen, Niedriglöhnern und „normalen“ Arbeitnehmern durchleuchtet. Ihre Gruppe wächst, doch gibt es noch eine weitere Gruppe, die ebenfalls kräftig anwächst. Wir nehmen in diesem Kapitel das Kapital in den Fokus, betreten staunend dessen Habitat, das daran erkennbar ist, das es von der Sonne warm beschienen und von üppiger Vegetation umstanden ist. Doch diese Studie müssen wir enorm vorsichtig angehen, uns behutsam anschleichen, leise beobachten, denn hier leben die scheusten aller Tiere – Rehe. Diese Tiere werden als Metapher von Finanzexperten immer dann herangezogen, wenn es um Ansammlung von Vermögen geht. Paradoxerweise beziehen sie sich dabei ausgerechnet auf Karl Marx, welcher konstatierte „Das Kapital ist ein scheues Reh und flüchtig wie eine Gazelle“. Dies soll uns mahnen, dass wir große Vermögen durch unsere Aufmerksamkeit verschrecken und es darob flink über den nächsten Grenzzaun in die Zone eines Steuerparadieses (vgl. Juncker-Oase u.a.) entflieht und dort Schutz vor staatlicher Bedrängung sucht. Besonders panisch flüchtet es, wenn der Betrachter aus einem ministerialen Fenster des Finanzministeriums einen auch nur beiläufigen Blick auf das Reh riskiert. Was jedoch nicht geschieht, die Jalousien dort sind lang schon dicht heruntergelassen, die Umlenkrollen verrostet, die Gurte gerissen.
Doch beginnen wir vorn. Deutschland war in seiner Geschichte nie zuvor reicher, das wird von niemandem mehr ernsthaft bestritten. Außer, wenn Schulen und Kindergärten Geld für defekte Toiletten oder fehlende Ausstattung erbitten. Auch in diesem Jahr erleben wir wieder einen global rekordhaltigen Leistungsüberschuss der deutschen Wirtschaft, aktuell von 285 Mrd. Euro, was sehr weit vor den zweitplatzierten Chinesen liegt, denen wir fern vom Gipfel hinunter winken. Wieder einmal Weltmeister, höchst erfreulich, doch nichts wirklich Neues. Die Umsätze unserer heimischen Wirtschaft wuchsen zwischen 2006 und 2015 um 22,9%, die Gewinne sogar um 30,2%. Unser Haushaltsüberschuss für 2017 wird auf 23,7 Mrd. Euro taxiert. Doch nicht nur den großen Unternehmen und dem Staatshaushalt geht es prächtig, 10,9 Billionen Euro Privatvermögen haben die Deutschen angesammelt. Lassen Sie diese Summe in Ruhe auf sich wirken. Würde dieses Geld gleichmäßig auf alle Bundesbürger, von der Wiege bis ins Seniorenheim verteilt, hätte jeder von ihnen etwa 130.000 Euro zur Verfügung, damit Sie einen groben Eindruck gewinnen. In den ersten beiden Folgen dieser Reihe jedoch erfuhren Sie, das 50% sich gerade mal 2,5% dieses Gesamtvermögens unter sich teilen, 25% unserer Bevölkerung so gut wie gar nichts besitzt, 6,85 Millionen Bankkunden sogar überschuldet sind. Wo also ist er nun zu finden, dieser Reichtum? So groß die Schätze, so überschaubar die Kreise derer, welche sie horten und hegen.
Lediglich ein Promille der erwachsenen Bewohner unserer Republik (etwa 69.000) hält 17% des privaten Vermögens. 1,9 Millionen Vermögensmillionäre gibt innerhalb unserer Grenzen und knapp 18.000 Vermögensmillionäre. Der Unterschied muss erläutert werden, denn er ist wichtig. Die erste dieser beiden Gruppen hat mehr oder minder statisch eine Million Euro und mehr, zum Beispiel durch Erbe oder Gewinn. Die zweite Gruppe erhält ein jährlich wiederkehrendes Einkommen höher als eine Million Euro. Diese Gruppe ist seit 2003 um unglaubliche 83% angewachsen! Superreiche hingegen werden erst jene Besitzenden amtlicherseits genannt, welche über 30 Millionen Euro privat verwalten, von ihnen leben etwa 6.800 unter uns. 200 Menschen stehen sogar über 300 Millionen Euro zur Verfügung, 134 Reiche gelangten gar in die sagenumwobene Kaste der Milliardäre. An deren Spitze wiederum drei Deutsche, die mehr Privatvermögen als die Landeshaushalte von Niedersachsen und Rheinland-Pfalz addiert ihr eigen nennen. Ein Drittel aller Immobilien und Aktien hierzulande sind in der Hand von 1% der BürgerInnen. Vermögen und Vermögenswerte sind bei uns zwischen Flensburg und Oberstdorf derart grotesk verteilt, dass jede Sinnhaftigkeit ad absurdum geführt ist (vgl. realer Gini-Faktor 0,76). Bevor jetzt Hammer und Sichel reflexhaft vor Ihrem geistigen Auge erscheinen und eine panische Kopfstimme schrill „Umverteilung, Kommunismus!“ kreischt, sei Ihnen hoffentlich beruhigend vermittelt, dass es mir nicht im mindesten um eine Begrenzung von Vermögen geht. Damit wir uns klar verstehen, eine vollumfänglich gerechte Verteilung von Vermögen ist weder realistisch noch angestrebt. Es geht vielmehr um die sinnvolle Verteilung von Lasten und Chancen! Möge ein jeder so reich werden, wie er kann, ich gönne es allen von Herzen. Doch was wir erleben ist, was Berthold Brecht bereits 1934 so beschrieb: „Reicher Mann und armer Mann standen da und sahen sich an. Und der Arme sagte bleich: Wär’ ich nicht arm, wärst du nicht reich.“. Umverteilung ist schon als Begriff das jederzeit drohende Damoklesschwert, das an reißendem Faden über jeder Überlegung bezüglich Vermögen baumelt. Doch findet Umverteilung längst vor unser aller Augen statt, umfassend und sehr lang schon. Von unten nach oben.
Vergleichen wir zum Beispiel Einkommen aus Arbeit mit dem sogenannten leistungslosem Einkommen. Ihr Gehalt, so Sie denn einen Arbeitsplatz haben, wird aus dem Umsatz Ihres Arbeitgebers erwirtschaftet. Dieser Umsatz wird versteuert. Wenn Sie gegenüber Ihrem Finanzamt Steuerfreiheit verlangen, weil Ihr Lohn aus bereits versteuertem Geld stammt, werden Sie wenig mehr als ein gequältes Lächeln erhalten. Sie lachen auch? Genau diese krude Argumentation jedoch wird angebracht, wenn es um die Versteuerung von Erbsummen geht – ein Erbe stammt doch aus Einkommen, das versteuert wurde! Das trifft zu, doch war es der Erblasser, der es versteuerte, für den Erben ist es schlicht ein Einkommen, welches zu versteuern ist wie jedes andere Einkommen auch. Weshalb akzeptieren wir, dass Einkommen aus Arbeit mit bis zu 42% besteuert werden, Einkommen aus leistungslosem Einkommen jedoch faktisch fast gar nicht. Und ein Erbe ist ein leistungsloses Einkommen, der Erblasser arbeitete dafür, seine Erben kaum. Haben Sie einen reichen Verwandten, ist dies Glück für Sie, keine Leistung durch Sie. Niemand sucht sich seine Familie vorgeburtlich nach Bonität aus. Dennoch soll es ihnen nicht mißgönnt werden, ein jeder soll selig erben. Was schreibt der wirre Mann denn hier, mögen Sie jetzt empört ausrufen, es gibt sie doch, die Erbschaftssteuer! Stimmt, schauen wir sie uns näher an. In diesem Jahr wechselt die stolze Summe von 400 Mrd. Euro als Erbe die Eigentümer, was einen Anteil an der Wirtschaftsleistung von fast 13% entspricht. 50% der Bevölkerung erbt nichts, 30% erben über 100.000 Euro. Davon steuerpflichtig sind überhaupt nur 14%, was an vielen Ausnahmen und Freigrenzen liegt. Etliche sind sinnvoll, denn das bescheidene Häuschen der Oma oder das familiäre Unternehmen des Vaters soll erhalten bleiben, das verschont der Fiskus völlig zu recht. Doch 86% als Schonvermögen zu deklarieren erscheint (gerade angesichts der Besteuerung von Arbeit) nicht unbedingt als ausgewogen. Der durchschnittliche Steuersatz für Erbschaften beträgt aktuell ca. 14%. Rechnet man allein diese beiden Zahlen zusammen, ergibt sich eine staatliche Beteiligung an Erbvermögen von 3,08%. Magere 12,3 Mrd. Euro sind alles, was der Bundeshaushalt von den 400 Mrd. Euro sehen wird. Der Maximalsatz von 30% (vgl. 42% Einkommensteuer) gilt, innerhalb einer Familie in direkter Linie vererbt, erst ab einer Summe oberhalb von satten 26 Millionen Euro! Real jedoch zahlen Erben auf Erbschaften über 10 Millionen Euro gerade einmal 1%, für diese Volumina sind versierte Steuerberater auffindbar, die zielsicher Lücken im Erbsteuerdickicht finden und geschickt zu nutzen wissen.
Unser Gesellschaftsvertrag (vgl. Makroökonomisches Gleichgewicht, als Stabilitätsgesetz eherne Verpflichtung jeder Bundesregierung seit 1967 bis auf den heutigen Tag) verlangt unter anderem, dass jeder (!) zum Allgemeinwesen nach seinen finanziellen Kräften beitragen soll. Ist das heute so? Was haben wir in diesen 50 Jahren seitdem an Ausgewogenheit erreicht? Wie gleich sind sie verteilt, die Aufwendungen für unser nationales Gemeinwohl? Die einfache Antwort bedeutet nicht weniger als grundsätzliches Regierungsversagen seit Jahrzehnten, anders als so krass kann man es kaum bewerten. Was übrigens interessanterweise auch nicht wenige aus den Reihen jener so klar postulieren, die sehr reich sind.
Die äußerst zurückhaltende Besteuerung von großen Vermögen steht in krassem Gegensatz zur Besteuerung der unvermögenden Bevölkerung. Nachweis? Die beiden großen Aktivposten auf der Einnahmenseite des Bundes sind die Mehrwertsteuer (221 Mrd. Euro) sowie die Einkommenssteuer (70 Mrd.). Einkommen aus Arbeit bis 42.000 p.A. erbringen 48,3% des gesamten Aufkommens an Einkommenssteuer. Auf den Punkt gebracht: Das Sediment der Lohnskala hat allein fast die Hälfte des Einkommenssteuer aufzubringen. Gerecht geht anders. 1975 galt der Steuerhöchstsatz erst ab dem 6-fachen des Durchschnittseinkommens, bis 2016 ist er auf das 1,5-fache dessen abgesunken. Die Hand des Staates greift immer früher und tiefer in das abgewetzte Portemonnaie des abhängig Beschäftigten, dafür findet sie prallvolle Brieftaschen immer weniger. Nach dieser direkten Steuer aber ist noch nicht Schluss, es warten noch begierig die indirekten Steuern, allen voran die Mehrwertsteuer, zu entrichten bei jedem noch so kleinen Einkauf. Für Haushalte, die mit jedem Cent rechnen müssen, ist jede Erhöhung der indirekten Steuern eine sogleich schmerzhaft spürbare Mehrbelastung. Von 10% Mwst im Jahre 1968 liegen wir heute bei 19%. Wer nun glaubt, dass halt alle Preise eben steigen mit der Zeit, läßt außer acht, das Prozentzahlen einen proportionalen Anteil beziffern.
Was erbringen parallel die größeren Vermögen für das Gemeinwohl? Die Steuereinnahmen aus Erbschaftssteuer liegen wie beschrieben real bei etwas über 3%, die Kapitalertragssteuer ist bei 25% gedeckelt, die Vermögenssteuer wurde 1996 abgeschafft, eine Börsenumsatzsteuer gab es noch nie (Begründung? Es wird keine gegeben.), eine Luxussteuer lehnen wir vehement als Teufelswerk ab. Dabei greift diese in vielen anderen Ländern, welche die Vermögenssteuer aus guten Gründen erheben, erst recht spät – zum Beispiel bei Booten über zehn Metern Länge, für Autos mit über 250 PS oder Armbanduhren über 75.000 Euro auf dem Preisschild.
Fiskalisch zusammengefasst: Wir belasten Arbeit und entlasten Vermögen, das erste aber wird weniger (Industrielle Revolution 4.0 / Automatiserungsgrad), das zweite wächst dafür rasant (vgl. oben). Finden Sie den Systemfehler, es sollte nicht all zu komplex sein.
Ich schlage vor, das wir die Metapher vom scheuen Reh des Kapitals noch einmal aufgreifen, aber endlich zu Ende denken! Rehe sind schöne und scheue Tiere. Doch deshalb erlaubt man ihnen nicht, alle frischen Triebe von Gewächsen abzufressen. Damit die Vegetation auch zukünftig wachsen kann, werden nachwachsende, kleine Bäume durch Gitter geschützt. Nicht die Rehe eingezäunt. In den sogenannten Gated Communities (schwer bewachte Wohnsiedlungen für Vermögende), die sich sprunghaft vermehren, geschieht aber genau das – Wohlhabende schirmen sich ab vor den Habenichtsen. Ist das wirklich die Art von Gesellschaft, in der wir in Zukunft leben wollen? Fangen wir endlich an, die Balance in unserer Steuerung von Natur auch in der Belastung von BürgerInnen einzubringen. Schützen wir die finanziell dürren Zweige unseres Landes endlich durch ausgewogene Steuergesetzgebung sowie zum Beispiel durch ein bedingungsloses Grundeinkommen. Wir brauchen schließlich Rehe und Gewächse, die Balance zwischen beiden muss in Einklang gebracht werden. Fragen Sie einen Förster.
Nächste Folge (4): Niemand wird noch arbeiten! Wer soll das bezahlen?