Nun standen wir am Ende der Rödinghausener Rilkestraße. Eigentlich eine schmale Allee mitten zwischen üppigen Feldern, gesäumt von alten Bäumen. Gelesen hatten wir ja schon viel von jenem „verzauberten Ort“ (Günther Butkus „Gut Böckel“, Pendragon Verlag, Bielefeld). Von der auf Gut Böckel geborenen und verstorbenen früheren Gutsherrin, Mäzenin und um 1920 herum sehr bekannten Dichterin Hertha Koenig, Von Rainer Maria Rilkes Besuch auf dem Gut. Von „Konzerten im Kuhstall“ mit international renommierten Orchestern unter namhaftesten Dirigenten. Von der Station, die das ostwestfälisch-lippische Literatur- und Musikfestival „Wege durch das Land“ hier seit 2002 regelmäßig unter Mitwirkung bekannter Künstler aus Musik und Schauspiel macht. Vom zauberhaft-romantischen ersten Adventswochenende, das traditionell nicht nur die Besitzerfamilie Leffers und ihre weitverzweigte Verwandschaft vereint, sondern mit über 90 ausgesuchten Ausstellern auf dem Weihnachtsmarkt „Weihnachten im Stall“ nicht nur Besucher aus OWL anzieht sondern auch von weit her.
Es ist vor allem der heutige Gutsherr, der mit seiner Lebendigkeit, den humorvollen Schilderungen um das Leben und Wirken der nicht nur in unseren Breiten bekannten Schriftstellerin, Mäzenin und Kunstsammlerin Hertha Koenig und seinem reichen Wissen um Gut, Park, Land und Leute ein äußerst interessanter Gesprächspartner ist. Dr. Ernst Leffers, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Bielefelder Leffers AG, kam, wie er es ausdrückt, „1991 eher wie die Jungfrau zum Kind“ an das stark verfallene Barockschloß nebst riesiger Ländereien. Er suchte damals für seinen Sohn Börries Freiherr von Oeynhausen-Leffers („Ich bin im Herzen Bauer, im Kopf Landwirt“) Ländereien und bekam das untrennbar damit verbundene Gutshaus nebst Stallungen quasi „dazu“. Es war wohl Liebe auf den ersten Blick, denn Dr. Leffers führte mit seinem Verwalter Jürgen Schmidt nicht nur den Agrarbetrieb sondern kümmerte sich unter Investierung der Erträge der Land- wirtschaft intensiv und engagiert um die behutsame Restaurierung. Aus dem damaligen „Rohdiamanten“ wurde nach kurzer Zeit ein westfälischer „Brilliant“, dessen neuer Schliff in fast toskanisch-barocker gelber Farbgebung im Land des Fachwerks durchaus warme positive Akzente setzte.
Auch die „Fassung“, der Park mit den Gräften (westfälisch für „Wassergräben“), rings um Häuser und Stallungen bekam jenen Rahmen und imposanten Auftritt wieder, die ihm der bekannte Gartenarchitekt Rudolph P. C. Jürgens im Auftrag von Carl Koenig 1890 gegeben hatte. Der Gutspark Böckel gehört zur regionalen Route Ostwestfalen-Lippe der EGHN „European Garden Heritage Network“.
„Es war meiner Frau Karen und mir immer auch wichtig, eine solche Anlage mit viel Leben zu füllen“, erläutert Dr. Leffers beim Gang über die Brücke der mit Seerosen bewachsenen Gräfte in den Park. Seit 2001 ist er Teil der „Garten-landschaften Ostwestfalen-Lippe“, einem deutschlandweit einzigartigen Projekt, das Quantität und Qualität von Parks und Gärten mit bildender Kunst und Musik zu einem großartigen Erlebnis verschmelzen läßt. 2001 begann es mit „Kleine Paradiese“, dem 2002 „Skulpturen“ folgten und jetzt sahen wir, wie man „seinem Engel begegnet“. Wir stehen vor der 2003 errichteten 16 Meter hohen Holzskulptur „Meet the Angel“ des aus der Ukraine stammenden Künstlerehepaares Ilya und Emilia Kabakov. Thomas Kellein, der heute in Texas/USA wirkende ehemalige Leiter der Kunsthalle Bielefeld, hat seinen Anteil an diesen Konzepten und Projekten, der Kunst und Malerei dieser Region wichtige Impulse gaben und geben.
Der Skulptur der Kabakovs liegt eine reizende Geschichte zugrunde:
„Ein Mann erwacht aus einem Traum, der ihm gezeigt hat, wie man seinem Engel begegnen kann. Er beginnt am Morgen, eine hohe Leiter zu bauen, die ihn in die Nähe des Himmels bringt“.
Dr. Leffers erzählte uns diese Geschichte allerdings weitaus prosaischer und länger. An- schließend hielt er uns aber davon ab, die Leitern zu erklimmen, für die man laut Kabakov „mehr als zwei volle Tage“ benötige. So können wir dann auch nicht persönlich bestätigen, was die Kabakovs behaupten:
„Doch wenn er ganz oben angelangt ist, hoch über den Wolken und ganz allein Wind und Wetter ausgesetzt, dann wird er mit Sicherheit diesen Krisenaugenblick erzeugen, in dem die Begegnung mit dem eigenen Engel unvermeidlich ist“.
Auf unserem Rundgang kommen wir am „Rilketurm“ vorbei. Aber das ist ebenso eine andere Geschichte wie die „eigentliche Geschichte“ von Gut Böckel, die wir später erzählen. Jetzt interessiert uns die nahe Zukunft. Und die heißt „Küchenmeile A30“ im September. Da wir nämlich wegen kochend heißer Asphaltarbeiten nicht im Gut direkt parken konnten, holte uns am „Schafstall“ ein geländegängiges offenes Gefährt ab. Dort sahen wir Handwerker bei der Arbeit. Das mit rund 400 Quadratmeter Fläche recht große Gebäude ist saniert und wird von Spülen- und Armaturenspezialist BLANCO während der Messetage für Ausstellungszwecke genutzt. So bekommt die immer wichtiger werdende renommierte Präsentation der Küchen- und Peripheriehersteller in Ostwestfalen längs der Autobahn A 30 mit Gut Böckels Schafstall ein buchstäblich „verzaubertes“ Ambiente. Verzeichnete das Gut 2010 mit neun Ausstellern und rund 4000 Fachbesuchern „Kapazitätsauslastung“, wird sich das dieses Jahr ändern. Jetzt steht für weitere Veranstaltungen nun weiterer Raum zur Verfügung, mit denen die Familie Leffers nicht nur die familären sondern auch die vielen privaten Anfragen nach Veranstaltungsraum bedienen kann. „Als Landwirte, die mit der Zeit gehen, beheizen wir das natürlich ebenso wie die anderen Gutsräumlichkeiten durch unsere moderne Biogasanlage“, sagt der Gutsherr, verschmitzt lächelnd.
Das Gut ist in Privatbesitz und daher öffentlich nicht zugänglich. Man arrangiert aber mit einer stimmigen Reihe von Veranstaltungen und dann großzügigem Zugang das Jahr über genug Möglichkeiten, dieses westfälische Kleinod mit eigenen Augen zu sehen. Die Geschichte um das Gut und mehr zu Hertha Koenig, Rilke und anderen Persönlichkeiten lesen sie in der Fortsetzung.
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Warum ich dieses Buch früher gern gehabt hätte Wenn ich zurückblicke, hätte ich mir ein