Markus Fischer, der Pressemann vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) hat uns einen Text zugemailt und gefragt: „Schon mal nachgedacht, warum die Einen den 10. November und die Anderen den 11. mit Umzügen feiern?“. Die Auflösung liefert der Verband selbst:
In diesen Tagen ziehen wieder viele Kinder mit ihren Laternen durch die Straßen. Diese Sankt Martin-Umzüge rund um den 11. November gehen auf den Todestag des heiligen Martin von Tours († 397) zurück. Laut Überlieferung soll er als Soldat mit einem Bettler seinen Mantel geteilt haben und erlangte daher seine Bekanntheit. „Dieser Akt der Nächstenliebe steht bis heute im Mittelpunkt des Sankt Martin-Gedenkens und ist auch dafür verantwortlich, dass der Gedenktag nicht in Vergessenheit geraten ist, auch wenn er erst im 19. und 20. Jahrhundert wiederbelebt wurde“, erklärt Christiane Cantauw, Geschäftsführerin der Volkskundlichen Kommission für Westfalen beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL). In einigen protestantischen Gegenden feiert man zur gleichen Zeit den Martinitag, an dem man Martin Luthers gedenkt.
Begangen wird der Martinstag in vielen Gebieten mit Umzügen, meist in Form von Laternen- oder Lichterumzügen. Dabei werden traditionell Martinslieder gesungen. Moderne Lieder, wie etwa „Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne“ oder „Ich habe eine Laterne“, sind von und für Kindergärten und Schulen konzipiert und somit keine Martinslieder im eigentlichen Sinn. Anders verhält es sich bei dem Lied „Sünte Martins Vöggelken“, das um 1970 in Bocholt (Kreis Borken) aufgezeichnet wurde. Es hat einen niederdeutschen Text, der bereits nachweislich Mitte des 16. Jahrhunderts gesungen wurde. Diese Musikbeispiele sind nur ein kleiner Ausschnitt der vielen Lieder, die zum Repertoire an Sankt Martin gehören. Die ursprünglichen Martinslieder, deren erste Belege sich im 14. Jahrhundert finden lassen, beschreiben den Akt der Mantelteilung oder lassen Martin hochleben.
Die heutigen Laternenumzüge enden mancherorts am Martinsfeuer, andernorts auf einer Festwiese, im Park, an einer Kirche oder an Schulen und Kindergärten. „Das Martinsfeuer ist ein reinigendes Feuer, das den Feldern Segen bringen soll“, so Cantauw. Nicht fehlen darf beim Martinsumzug eine szenische Darstellung der Mantelteilung. Meist reitet ein als Sankt Martin verkleideter Darsteller auf einem Schimmel an der Spitze des Festzugs.
„Allerdings war der 11. November nicht nur aufgrund von Sankt Martin ein wichtiger Tag. Er markierte eine Zäsur im bäuerlichen Arbeitsjahr, Jahreslöhne für Knechte und Mägde wurden ausgezahlt, Pachtgebühren wurden fällig und Zinsen eingetrieben. Das Ende des Wirtschaftsjahres an diesem Datum war gleichzeitig auch Beginn der sechswöchigen Advents- und Fastenzeit“, erläutert die Volkskundlerin.
Der heilige Martin wurde 316 oder 317 als Sohn eines Offiziers geboren und nach damaliger Sitte ebenfalls Soldat wie sein Vater. Martin von Tours zeigte aber auch früh Interesse an der religiösen Lehre. Nach der Mantelteilung wurde er auf Begehren des Volkes zum Bischof von Tours ernannt. Martin starb am 8. November 397 und wurde am 11. November in Tours beigesetzt.
Ursprünglich war der Sankt Martinsumzug ein sogenannter Heischebrauch. Dabei zogen Kinder singend von Hof zu Hof und forderten Gaben, meist in Form von Lebensmitteln ein. Dieser Brauch ist heute zu Sankt Martin größtenteils verschwunden, war aber bis in die 1960er Jahre durchaus lebendig.
In einem Bericht aus dem Archiv der Volkskundlichen Kommission, der die Zeit um 1900 beschreibt, heißt es: „Im November am Martinstag, gingen die Kinder in der Dämmerung mit Beutel und Tasche bewaffnet, von Haus zu Haus, zum Martinssingen aus. Es gab dann Äpfel, Nüsse und auch Backobst, wo jeder gerade mit eingedeckt war. Später wenn diese Sachen fehlten, gab es auch wohl Würfelzucker oder Bonbons.“
Martin Luther wurde am 10.11.1483 in Eisleben geboren. Er studierte Jura, entschied sich aber im Alter von 22 Jahren dem Augustinerkloster in Erfurt beizutreten. Ab 1512 war er Theologieprofessor an der Universität Wittenberg. Luther ist heute vor allem für seine 95 Thesen bekannt, die er der Legende nach am 31.10.1517 an die Tür der Wittenberger Schlosskirche schlug. Er protestierte damit gegen den Ablasshandel und forderte eine Reformation der Kirche. Seine Thesen verbreiteten sich in ganz Deutschland und leiteten die Spaltung der Kirche ein. Aus dieser Reformation, die alljährlich am 31.10. mit dem Reformationstag begangen wird (gesetzlicher Feiertag in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen), entstand die Evangelische Kirche. Luther starb am 18.02.1546 in seiner Geburtsstadt Eisleben. Da in der Nacht vom 31. Oktober zum 1. November heutzutage Halloween, ebenfalls ein Heischebrauch, vielerorts gefeiert wird, wird der Reformationstag nur noch als gesetzlicher Feiertag begangen.
Allerdings wurde Martin Luthers vornehmlich in protestantischen Familien und Orten an seinem Geburtstag, dem 10. November, oder an seinem Tauftag, dem 11. November, gedacht. Dies zeigt sich an einem Bericht aus dem Kreis Minden-Lübbecke: „Am 10. November am Geburtstag von Dr. Martin Luther ziehen die Schüler in größeren und kleineren Gruppen von Haus zu Haus und singen ihre Lieder. Früher erhielten wir Äpfel und Birnen als Gaben. Heutzutage nehmen sich die Kinder gerne Süßigkeiten.“
Dieser Tag hat sich in einigen protestantischen Orten unter der Bezeichnung „Martinitag“, zu dem auch das „Martinisingen“ gehört, bis heute erhalten. „Es lässt sich allerdings nicht verallgemeinernd sagen, dass in katholischen Gebieten nur Sankt Martin und in protes-tantischen Gebieten nur Martinitag begangen wird“, so Cantauw. Die Ähnlichkeit in der Auslegung der Bräuche kann demnach zu einiger Verwirrung führen.
Man kann also den 10. oder den 11. November feiern. Die Schüssel mit den Süßigkeiten gibt es aber – zumindest im Hause „Living in OWL„ nur heute.
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