Text: Michael Krakow
Semiotik ist bekanntermaßen die Lehre der Zeichen und Symbole. Klingt zunächst latent entrückt, hat jedoch viel Alltagstauglichkeit. Im Bereich der unaufhörlich anreichernden Verschönerung der privaten Wohnstatt zum Beispiel ist sie allgegenwärtig. Der Zwang, das eigene Heim neben allerlei praktikablen Ingredienzien wie Möbeln, Elektrogeräten, Autoreifenkalendern und Unterhaltungselektronik zusätzlich mit dekorativem Tand anreichern zu müssen, ist eine Sucht, welche Männer gerade für sich entdecken, Frauen jedoch seit Urzeiten immanent scheint.
Doch über die Unterschiedlichkeit der Geschlechter müßig Spott & Häme zu ergießen ist enervierend mariobarthisch, somit denkbar ungeeignet für Michls Embolium. Nein, die erquickliche Freude besteht heute darin, Objekte, denen jegliche Sinnhaftigkeit von Hause aus fehlt, da sie eben nicht mehr als dekorativ sein wollen, um ihres verborgenen Sinnes willen entblößen zu wollen. Gewiss ein anormales Vergnügen, jedoch vielleicht gerade deshalb geeignet, den Autor dieser Zeilen amüsiert zu beschäftigen.
Alles nahm seinen Lauf in der Dekoabteilung eines regionalen Ablegers einer Baumarktkette. Desgleichen gibt es jedoch auch in beeindruckender Flächenverzehrung in sämtlichen Einrichtungshäusern sowie Gartencentern. Die Krake Deko wächst und greift unaufhörlich um sich, sie strebt unzweifelhaft die Weltherrschaft an. Man mag sich die gierenden Wohnflächen des Privaten gar nicht ausmalen, auf die hier an genannten Verkaufsflächen Objekte aller Form, Größe, Color und Couleur harren. Von überteuert grotesken Statuen, welche mühelos den Stil des artdeco mit Elementen perikommunistischer Architektur verweben, über skurril drehende Filz-Fimo-Macramee-Mobilées, bis hin zu poppig bunten Plastik-Albernheiten, die spätkoreanisches Design in bemühter Leichtigkeit zitieren, das es solches nie gab.
Mit dem neuigierig wachem Blick des soziologisch Interessierten hier neugierig auf die Pirsch gehend wie ein Schmetterlingsforscher auf seiner Suche nach Faltern, werde ich all zu rasch fündig. Als erstes drängen sich vier zusammenhängende Buchstaben ins Blickfeld. Ein jeder so groß wie ein Briefbogen, aus weiß lackiertem Holze. Die Lackierung allerdings ist kunstvoll derart lückenhaft aufgebracht, dass es wie durch Witterungseinflüsse von Jahrzehnten abgeblättert wirkt. Weshalb soll etwas Neues wie alt wirken, während man im Regal daneben Aufmöbelungs-Produkte findet, mit denen man daheim Altes wie Neu erscheinen lassen kann? Das Perpetuum Mobile als Beschäftigungstherapie oder Bediendung des Prinzips „The Grass is always greener on the other side?“ Ein erster Lernerfolg stellt sich ein: Was beim Gebrauchtwagen den Wert mindert, erhöht ihn in der Dekowelt.
Jene vier Versalien jedenfalls bilden offenkundig eine Gruppe und formieren sich bei korrekter Konstellation zu dem Wort „H O M E“. Die kleinen Häkchen an ihrer Rückseite verraten, dass sie für den Wandbehang gedacht sind. Ich überlege stutzend. Weshalb soll mich eine Schrift an der heimischen Wand darüber in Kenntnis setzen, dass diese Wand mein aktuelles Zuhause darstellt? Während des Lesens bin ich ja bereits an diesem vertrauten Ort und auch (noch) nicht dement, kann mich also prima autark schriftlos an diesen Umstand erinnern. Und was ist mit Besuchern, die bei mir zu Gast, aber eben nicht daheim sind? Müssen die, um unguten Mißverständnissen vorzubeugen, energisch am Lesen gehindert werden oder begreifen sie jene Inschrift als augenzwinkernde Aufforderung, sich doch bitte nicht hölzern, sondern punktuell heimisch zu fühlen in meiner Kemenate. Oder wird mit „H E I M“ an die Geronten gedacht, denen es nicht selten an Stringenz in der allgemeinen Orientierung mangelt und denen man mit diesem Hinweis auf die Zukunft in einem Heim das Ungewisse nehmen will?
Will der Baumarkt hier den Sanitätsgeschäften Marktanteile abjagen? Beschriftung und Benennung aller Dinglichkeiten, wenn die erlangte Pflegestufe keine personelle Unterstützung inkludiert. Dann jedoch sollten hier noch weitere Schilder ins Portfolio gewuchtet werden. Und richtig! Ein Gang um die Ecke offeriert folgerichtig die Buchstabengruppe „Bath“. Wieder weiß, wieder Holz, wieder abgeblättert. Corporate identity im Dekowonderland. Allerdings verstört, dass nur Demenzerkrankten angelsäschischer Provenienz in den eigenen vier Wänden geholfen werden soll. Sonst würde es auch „H E I M“ heißen müssen und „B A D“. Das kostete im ersten Fall das gleiche, im zweiten sparte der Kunde sogar ein Viertel.
Während ich mich philosophisch ergehe über die Merkwürdigkeiten dieser Beschilderung, grinst mich das gütige Gesicht des ewigmeditierenden Siddharta aus Polyresin (Material, nicht indischer Geburtsort) an, in seiner Wangentextur dem kleinen Oberjedi Yoda nicht unähnlich. In dieser Ecke seines Habitats wird der Baumarkt offensiv spirituell. In einem dichten Hain aus Bambi (Kennt jemand den Plural von Bambus? Bitte an mich via Mail. Dankesehr.) lugen Buddhaköpfe. Enthauptet ist er allenthalben, der Erleuchtete, der hier aber auch ein Gepfählter ist, denn jeder Kopf ist auf eine Stange gesteckt, die aus einem Holzquader ragt. Die Abmessungen erlauben eine standardisierte Unterbringung des Entleibten in die meisten Regale schwedischer Konstruktion. Dem Buddha ist sein Torso hier nur gestattet, wenn er denn auch eine neckische Funktion erfüllt, nur dadurch entgeht seiner Enthauptung, so lautet die Regel. Mal läuft ihm unablässig Wasser pumpend über den Bauch oder er streckt dem Betrachter dümmlich ein Teelicht entgegen wie eine Opferschale. Ein Religionstifter als Deko, das ist neu, der Glaube darunter abgetrennt wie der Kopf.
Welch krude Überlegung dahinterstecken mag, die vor allem aber inkonsequent ist, das muß man doch mal zu Ende denken! Leben wir doch nicht in Asien, sondern in Europa. Hier wird nur die kleine Zielgruppe avisiert, da hilft kreative Ergänzung im Sortiment dem Umsatz gut. Decken wir doch die gesamte Palette menschlicher Konfessionen ab! Weshalb nicht flankierend auch ein aufgespießter Jesuskopf, dessen Dornenkrone lustig Teelichter aufnimmt? Wer zum Hauptsymbol seiner Religion ein Folterwerkzeug (Kreuz) erkoren hat, den sollte dies doch humoresk ansprechen. Oder ein Mohammed, der Wasserkaskaden als Zimmerbrunnen ersprudelt sowie ein David, aus dessen Steinschleuder ein kleiner Zierstrauch sprießen! Zieht es durch, Ihr Heimwerkertempel, Möbelpaläste und Blumenkathedralen, werdet spirituell – Klerikal-Utensilien für alle Gläubigen, Halleluja, Versorgung abgerundet! Oha, das geht gar nicht, das gibt Ärger. Keine Deko-Ideen bei diesen drei Weltreligionen, da sind sie ungeheuer vulnerabel.
Dass Buddhisten in der Regel auch hier relaxt sind, hat sich offenbar bis in die Dekohöllen herumgesprochen, weshalb hier der indische Prinz gefahrlos dutzenfach geköpft, aufgespießt und gewässert werden darf, die restlichen Propheten jedoch Tabu bleiben. Für pathogene Empfindlichkeit sind Buddhisten nicht eben berühmt und auf Kreuzzüge, Inquisition, Blaspehmie-Detektorismus, Creationismus, Borniertheit, Attentate im Nahverkehr und ähnliche Aktivitäten haben die anderen drei schon das Copyright.
Den Anhängern Buddhas bleiben die prangenden WerkzeugGartenMöbel-Kapellen. Eigentlich ein netter Service, denn wirkliche Tempel gibt es ja kaum in dieser Ecke der Welt. Vielleicht meditiere ich einfach mal hier, zwischen Hibiscus und Konifere. Innere Entspannung und Erleuchtung im Baumarkt, Doityourself auch am eigenen Gemüt. Das passende Schild ist auch nicht weit, der hölzerne Imperativ „Sleep“ für den Ruhebereich winkt zwischen Raumduftkugeln und Zugluftrollen. Ui, fünf Buchstaben, eine teurere Handlungsanweisung für die Nacht. Da fällt einem für den Bettbereich noch eine weitere englischsprachige mit vier Buchstaben ein, doch dann müßten die kindlichen Kunden in ihren mobilen Sitzschalen flugs aus der Sichtachse geschwenkt werden.
Mit der Überlegenheit des stilsicher Distanzierten, des lässigen Puristen, des larmoyanten Citoyens, lächle ich überheblich über all diese Devotionalien der gelebten Kleinbürgerlichkeit, die jedes Heim in ein individuelles verwandeln sollen, was allein schon daran scheitert, dass alle hier und letztlich auch dasselbe einkaufen. Während ich also meine snobistische Verachtung gegenüber diesen Petitessen der Pseudogemütlichkeit demonstrativ zur Schau lustwandle, fängt mein Blick vier weitere hölzerne Buchstaben ein: „T Y P O“. Hey, das ist cool, das ist ironisch, narrativ, selbstreferentiell. Und es ist maigrün, hurra! Das ist natürlich etwas völlig anders als dieses dämliche „H O M E“, das soll man mal bitte nicht in den gleichen Design-Topf schmeißen. Das ist keine Deko, dass ist Satire in weißblättrigen Treibholz! Die vier hölzernen Wandhänger müssen unbedingt mit, so viel ist sicher, ich werde sie in mein Büro hängen, direkt über den Schreibtisch.
Eine Schrift, die aussagt, das sie Schrift ist. Hallo, das ist der feine Wortwitz eines Weltenbürgers würdig! Ach, mein Geschmack ist halt noch immer einzig und so wunderbar erhaben über jeglichen Mainstream. Wegen meiner innergedanklichen Lästereien zuvor allerdings schleiche ich mit meiner grünen Beute betont unauffällig zur Kassenzone und fühle mich dabei wie einst als Jüngling beim Kondomkauf in jener dörflichen Monopol-Apotheke, dessen Inhaberin mit meinen Eltern befreundet war. Beim Bezahlvorgang murmle ich verständnisheischend achselzuckend „Geschenk“ und “Cousin, entfernt”, was die gelangweilte Scanbeauftragte mit Ignoranz quittiert. Nun hängt die Typo in meiner heimischen Kommandozentrale. Über dem Buddhakopf aus Gips. Macht sich richtig gut als Ensemble, bei mir ist es halt ungeheuer individuell. Alles wird grün, liebe Charismatiker. Auch Schriften aus Holz. Verwitterte Grüße…
Dekoartikel fotografiert bei New Classic Lifestyle Anke Kirsch