Herzschreiben: Krise als Chance

von Alexa Förster

 

Unsichtbar wabert ein Gefühl der Bedrohung durch die Massen. Besorgnis steht in den Augen vieler, die ihren Einkaufswagen randvoll bepackt durch die Gänge des Supermarktes schieben. Gedanken kreisen unaufhörlich. Vollgestopft mit Fakten und Halbwissen, werden sie zu einer Spirale, die manch sensiblen Geist in den Abgrund reißen. Gesprächsthemen ranken sich um das eine. Stets gegenwärtig ist sie, die nicht zu greifende Macht. Unheimlich, wie in einem Science Fiction Film, wird sie nebulös durch unkontrollierbar agierende Mikroben gesteuert. Fast in Vergessenheit geratene Begriffe wie Respekt, Achtung, Solidarität und Mitmenschlichkeit werden mit neuem Leben gefüllt. Sie gewinnen an Kraft und Bedeutung, werden in Anbetracht der verschwimmenden Gegenwart zu Ankern und Heilsbringern.

Die äußere Welt steht kopf und macht gleichzeitig eine Pause. Im Schock verhaftet, atmet sie dennoch auf. Blumen können ihre Köpfe aufrichten, ohne gleich von unachtsamen Füßen zertreten zu werden. Fische erobern sich ihren Lebensraum zurück. Der Himmel blauer, als in meiner Erinnerung, kommt unbeschwerter daher. Vögel zwitschern lauter denn je, als würden sich ihre Lungen an der sauberen Luft laben. Die Straßen freigeputzt von Automassen, vermissen sicher nicht die Abgase. Kein Kino, Theaterbesuch, kein Konzert – auf vielfältigen Ebenen sehr bedauerlich und doch auch irgendwie auch ein Geschenk. Niemand muss hetzen, niemand muss sich brüsten, mit dem, was er alles unternommen und erlebt hat. Niemand soll, darf oder muss gar woanders sein, als er augenblicklich ist. Es ist, als hätte man aus einer prall gefüllten Blase die Luft hinausgelassen und dadurch die Welt und auch die Menschen zu einer Auszeit gezwungen. Einer Auszeit, die niemals zustande gekommen wäre, wenn wir sie hätten frei wählen können. Selbst wenn mir die tatsächlichen Ursachen für den Stillstand verborgen bleiben, so sehe ich doch die Chance, die diese Zeit auch in sich trägt. Eine Chance innezuhalten und das globalisierte, auf Wachstum, Profit und Optimierung ausgerichtete Handeln zu überprüfen. 

Die Welt ist im Wandel und wir sind mittendrin.

Die Pause, die durch den Stillstand des Außen erzwungen wird, ist für viele Menschen eine Bürde, eine Schief- oder sogar Notlage und doch kann sie sich in eine Chance wandeln, wenn wir beginnen die Qualität dieser Zeit wahrzunehmen und sie zu nutzen lernen. Es ist wichtig, dass wir dieser besonderen Phase mit offenem Herzen begegnen, dass wir uns in Geduld und Muse üben, dass wir uns erlauben, uns den anstrengenden und angstbesetzten, aber auch den schönen Momenten unseres Lebens zu stellen. Sobald das Außen steht werden wir auf uns zurückgeworfen. Schwerlich können wir uns von uns selbst ablenken, es sei denn wir spielen den ganzen Tag am Computer oder schauen durchgängig irgendwelche Serien. Wenn wir das nicht tun und auch nicht tun möchten, dann sollten wir die Zeit nutzen und Ausschau nach unseren Fähigkeiten, unserem Potential und unseren Möglichkeiten halten, die womöglich unter dem alltäglichen Funktionieren begraben liegen und nun hervorgelockt werden könnten.

Es gibt immer ein Davor – aber auch ein Danach

Jeder Mensch nutzt die Krisenzeiten auf seine ganz eigene Weise. Ich schreibe, was könnte ich besseres tun, denn Schreiben ist von je her ein Mittel der Innenschau, der Befreiung und auch der Erleichterung. Es ermöglicht mir in der Welt zu sein und doch auch die Welt für einen Augenblick draußen zu lassen. Andere nutzen andere Wege. Sie backen, kochen, stricken, malen, puzzeln, spielen, reden, basteln, tüfteln, musizieren, lesen oder tun sonst etwas, an dem sie Freude haben. Manche steigen auf Dachböden oder in die Keller hinab und entdecken Dinge, die sie in der Vergangenheit gern taten, besinnen sich zurück und damit auch auf sich selbst. Besinnen sich auf die, die sie einmal waren, die sie jetzt sind und vielleicht auch auf die, die sich nach der Krise sein möchten. Erkennen vielleicht, dass sie sich in der schnelllebigen und fordernden Zeit verloren, sogar gänzlich selbst vergessen haben. Bestenfalls fangen sie an, ihre Werte neu zu definieren und zu schauen, was jetzt wirklich wichtig und nötig ist, wovon sie Abstand nehmen können und was einen neuen Stellenwert in ihrem Leben gewinnen kann. Vielleicht nehmen sie, ebenso wie ich, Stift und Papier zur und Hand und schreiben auf, was sie in dieser Krise bewegt, was sie erfahren, erleben, und auch vor was sie sich ängstigen? Stellen sich ebenfalls die Frage, wie es weitergehen kann, sowohl mit dem eigenen Leben, als auch mit der Gesellschaft und der Welt als Ganzes. Fragen sich, ob es überhaupt unser Bestreben sein kann, und darf dort weiterzumachen, wo wir aufgehört haben, oder ob es uns diese Zeit vielmehr eine Lehre sein könnte. Eine Lehre im Sinne der Achtsamkeit.

Dankbarkeit und Freude in Zeiten des äußeren Mangels

Ich für meinen Teil empfinde sehr viel Dankbarkeit in dieser Zeit und ebenso viel Freude. Ich erfreue mich an der Fülle der Zeit, die auch in meinem Leben auf diese Weise entstanden ist und vor allem daran, sie schreibend zu nutzen. Große Dankbarkeit entsteht in mir darüber die Möglichkeit zu haben, Menschen über das Schreiben zu erreichen, sie teilhaben zu lassen, an meinen Gedanken, meiner Weltsicht und auch an meiner Zuversicht. Es bereitet mir Freude, die Welt, ihre Themen, Sorgen und Nöte einatmen zu dürfen, sie in meinem Herzen zu wandeln und sie als Buchstaben ausatmend auf dem Papier niederzulegen. Und ich freue mich daran, dass sich die Kreativität – die jedem von uns innewohnt – durch die mangelnden äußeren Reize regelrecht beflügelt fühlt, dass sie sich entfalten darf, ohne von den täglichen Anforderungen allzu schnell wieder ausgebremst zu werden. Ich freue mich aber auch an so vielen kleinen Dingen, die zuvor im Wust des vermeintlich wichtigen untergingen. Und auch daran, dass ich ohne schlechtes Gewissen zu entwickeln dasitzen und aus dem Fenster schauen kann, dass Stunden verstreichen dürfen, ohne dass sie mein Zeitkontingent schmälern. Auch freue ich mich daran, außer dem Nötigsten nichts kaufen zu müssen, denn durch die Fülle an Zeit entsteht kein Bedürfnis mit einem Einkauf einen Ausgleich schaffen oder mir damit etwas vermeintlich Gutes tun zu müssen.

Kein Licht ohne Schatten

Einer Krise mit offenem Herzen zu begegnen, kann und wird sich als wahre Chance erweisen können, wenn wir es uns erlauben unseren Blick auf das Licht zu richten, das hinter jedem Schatten existiert. Erst durch die Ermangelung der äußeren Reize wurde das allgegenwärtige Muss vom Thron gestoßen und ermöglicht uns, die Dinge neu zu betrachten. Das Durchbrechen von Mustern und Gewohnheiten erlaubt uns den Blick neu auszurichten. Es erlaubt uns Abstand zu nehmen von dem, was uns sonst beschäftigt gehalten hat und eröffnet neue Perspektiven, sowohl uns selbst, als auch unsere und die Verhaltensweisen der Menschheit betreffend.

Abstand zu nehmen ist eine Chance und immer der erste Schritt für einen Neubeginn. Ein Neubeginn, der sich bestenfalls auf ein wertschätzendes, respektvolles, achtsames, tolerantes, gesundes und nachhaltiges Miteinander von Mensch, Tier und Natur ausrichten könnte.

Mehr zum Thema Herzschreiben gibt es hier: Alexa Förster: Wenn die Seele hüpft und mehr von der Autorin, Moderatorin und Persönlichkeitsentwicklerin Alexa Förster auf der Seite ZEIG-WAS.

 

Fotos Pixabay

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