Ein rosa Herzchen im Schnee

Wintergeschichte von Regina Meier zu Verl

„Was wünschst du dir denn eigentlich zum Geburtstag?“, will Denise von ihrer Mama wissen. Der Geburtstag ist schon in ein paar Tagen und sie hat noch kein Geschenk und auch keine Idee.

„Ach, ich habe doch alles. Ich wünsche mir nur etwas mehr Ruhe und vielleicht ein wenig Schnee!“ Mama schaut mit verklärtem Blick aus dem Fenster. Ganz weit weg scheint sie zu sein.

„Schnee? Warum das denn?“ Denise ist erstaunt, sie selbst ist froh, dass es noch nicht schneit. Das macht nämlich den Schulweg beschwerlich, weil sie dann nicht mit dem Rad fahren kann.

„Ich bin immerhin ein Winterkind. Winterkinder lieben den Schnee!“, versucht Mama zu erklären, es klingt aber nicht sehr überzeugend. „Ist das so?“, fragt Denise, die im Frühling geboren ist. Sie bekommt aber keine Antwort, Mama träumt wohl vom Rodeln oder Schlitten fahren.

Schnee und Ruhe, denkt Denise. Wie um Himmels Willen soll sie das in ein Geschenk verpacken? Zwei Tage lang überlegt sie hin und her. Vielleicht könnte es eine hübsche Schneekugel sein, darin schneite es immer. Aber das ist langweilig, außerdem hat Mama schon viele Schneekugeln. Wie wäre es mit einem Schneemann, den könnte sie basteln. Aber Mama hatte ja schon so viel Gebasteltes und mit Ruhe hatte das immer noch nichts zu tun. Plötzlich kommt Denise die rettende Idee.

‚Ich werde ihr eine Geschichte schreiben, eine, in der beides vorkommt, Schnee und Ruhe. Dann werde ich Mama in einen Sessel platzieren, ihr einen leckeren Tee servieren und ihr die Geschichte vorlesen!‘, denkt Denise und ist Feuer und Flamme. Das würde ein schönes Geschenk werden. Aber nun wurde es auch Zeit! Am Abend setzt sich Denise an ihren Schreibtisch und denkt nach. So einfach ist das nicht, viel leichter hat sie sich das vorgestellt. Sie beginnt einige Male, verwirft aber ihre Gedanken dann immer wieder und beginnt von vorn. Wenn doch nur Oma in der Nähe wäre, die könnte sie fragen. Aber Oma ist zur Kur gefahren, wegen ihres Herzens. Ob sie Oma einfach mal anrufen könnte? Da fällt ihr ein, dass Oma immer sagte, dass sie ihre Geschichten nachts im Traum erfährt und sie dann morgens einfach nur noch aufschreiben muss. Ob das stimmte? Denise will es versuchen. Gleich nach dem Abendessen legt sie sich ins Bett, denkt ganz fest an ihre Mama, an wirbelnde Schneeflocken und an ruhige Stunden. Weil das so langweilig ist, fallen ihr schon bald die Augen zu und sie reist ins Traumland.

Sie hört ein Wispern, ein feines Singen, näher kommt es und immer näher. Denise lauscht. Was ist das? Denise schaut sich um. Sie sitzt auf einer Bank vor einer kleinen Waldhütte. Der Wald ist schneebedeckt und obwohl Denise da in ihrem Schlafanzug sitzt, ist ihr gar nicht kalt. Sie blickt nach oben und sieht den Sternenhimmel. Einige Sterne funkeln, so, als wollten sie ihr zuzwinkern. Ob es die Sterne sind, die da singen? Denise ruft: „Hey, ihr Sterne da oben!“ Sie bekommt keine Antwort.

Vorsichtig setzt Denise ihre nackten Füße in den Schnee. Sie lacht, es fühlt sich toll an, Mama würde das sicher nicht erlauben, aber Mama ist ja nicht hier. Schade, es würde ihr hier gefallen, wo sie doch den Schnee so gerne hat. Das Singen wird nun lauter, aber Denise kann die Worte nicht verstehen und sie kann schon gar nicht erkennen, von wem es kommt. Wahrscheinlich sind es doch die Sterne. Die reden nicht, sie singen nur. Denise wagt ein paar Schritte in den Wald hinein, ganz vorsichtig setzt sie Schritt vor Schritt, der Schnee knirscht unter ihren Füßen.

Je weiter sie in den Wald hineinkommt, desto dichter stehen die Bäume beieinander. Dunkler wird es und die Sterne sind nicht mehr zu sehen. Auch das Singen hat aufgehört. Denise ist unheimlich zumute. Wenn doch nur Mama bei ihr wäre, oder Papa!

Denise beschließt, zurück zu gehen zu der Hütte. Sie dreht sich um und folgt ihren Fußstapfen. Das ist ganz leicht, aber mit einem Male sind da nicht nur ihre eigenen Abdrücke, sondern weitere, die in verschiedene Richtungen zeigen. Welchen Weg soll sie nun nehmen? Oh, es ist nicht schön, wenn man so ganz allein ist, gar nicht schön.

„Du bist gar nicht allein, Denise!“, sagt plötzlich ein feines Stimmchen. „Ich bin ja auch da!“ Erstaunt blickt sich Denise um. Sie kann niemanden entdecken.

„Wer bist du denn? Etwa mein Schutzengel?“, fragt Denise und hofft inständig, dass es so sein möge. Die Stimme kichert.

„Nö, ein Engel bin ich wohl nicht, aber das ist ein schöner Gedanke. Schau genau hin, dann siehst du mich!“ Denise entdeckt ein winziges rosa Herzchen im Schnee und als sie genau hinschaut, erkennt sie hinter dem rosa Herznäschen ein niedliches Gesicht und lange weiße Ohren.

„Oh, du bist ein Schneehase!“, ruft Denise begeistert. Sie ist so froh, nicht mehr allein zu sein und dieses Häschen ist entzückend.

„Gut erkannt, junge Dame! Ich bin Flocki!“

„Hey, Flocki, schöner Name. Aber sag mal, woher weißt du denn meinen Namen?“, will Denise nun wissen.

„Ja, wenn ich schon in deinem Traum herum hopple, dann sollte ich schon wissen, wer du bist, meinst du nicht auch?“

„Och, ist das alles denn nur ein Traum?“, fragt Denise erstaunt. Sie ist fast ein bisschen enttäuscht.

„Was heißt denn „nur“? Alles in unseren Träumen ist auch ein wenig wahr, sonst könnten wir es ja nicht träumen. Wir schmücken einfach nur Dinge mit etwas Fantasie aus, die wir eigentlich schon kennen! Ja, so ist das!“, sagt Flocki vergnügt. „Wenn wir diesen Gedanken mal weiterdenken, dann könnte es ja auch sein, dass ich ein verwunschener Prinz bin und du musst mich küssen, damit ich vom Schneehasen zum Prinzen werden kann.“

Denise lacht laut auf, dann aber schüttelt sie heftig den Kopf.

„Ich werde dich nicht küssen, denn ich bin ja nur auf der Suche nach einer Geschichte für meine Mama. Einen Prinzen braucht sie nicht, sie hat ja Papa!“ Nun muss auch Flocki lachen und das sieht so niedlich aus, dass Denise sich umgehend in ihn verliebt.

Sie überlegt kurz, ob sie ihn doch küssen sollte, merkt aber, dass ihre Füße langsam anfangen zu kribbeln, ein sicheres Zeichen dafür, dass sie gleich aufwachen wird.

„Lieber Flocki, ich muss gehen“, sagt sie deshalb und verspricht, mal wieder von ihm zu träumen. „Danke für den schönen Traum, morgen mache ich eine Geschichte draus und die schenke ich dann meiner Mama zum Geburtstag. Ich glaube, das wird das schönste Geschenk von allen sein“, murmelt sie noch, dann legt sich ein Nebel über den Wald und schon bald ist er ganz verschwunden. Denise zieht sich noch einmal die Bettdecke über die Ohren und rollt sich darunter ein. Ihre Füße sind ganz kalt und vor dem Bett sieht sie am Morgen eine winzige Pfütze. Ob Flocki die dort hinterlassen hat?

 

© Regina Meier zu Verl

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